WAZ: Norwegens Liebe zur Freiheit. Kommentar von Wilhelm Klümper

Nach dem Massaker in Norwegen schlägt die Stunde der
Oberschlauen. Der Polizei und dem Staatsschutz werden heftige
Vorwürfe gemacht. Da habe ein rechtsradikaler Nationalist im Internet
unbeachtet seine wirren Thesen veröffentlichen können. Ein wachsamer
Staat hätte sich dagegen den Attentäter schon früher vorknöpfen
können. Und es sei ein Armutszeugnis, dass die Polizei erst so spät
auf der Horror-Insel eingetroffen ist.

Es ist selbstverständlich zwingend, dass nun haarklein
aufgearbeitet wird, warum niemandem die Verwandlung des unauffällig
und angepasst lebenden Norwegers zum anti-islamistischen Terroristen
aufgefallen ist. Man wird in Norwegen aus polizeilichen Fehlern
lernen und auch über Grenzen der Freiheit reden.

Insgesamt ist die Reaktion der Norweger auf das Massaker
wohltuend. Trotz des unfassbaren Schmerzes lassen sie sich nicht zu
eilfertigen Erklärungen hinreißen. Auch von Hass und Rache ist nichts
zu spüren. Die Norweger erweisen sich in der Stunde tiefster Trauer
als Vorzeige-Demokraten, die ihre offene, freiheitliche Gesellschaft
nicht infrage stellen. Damit haben sie schon einen Sieg gegen alle
Feinde der Freiheit errungen. Denn egal, ob anti-islamistische oder
islamistische Terroristen, beide träumen von einem diktatorischen
Unterdrückungsstaat.

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