WAZ: Steuersenkungen sind wieder salonfähig – Kommentar von Stefan Schulte zum Steuersegen

Es gibt Schlimmeres als 54 Milliarden Euro ausgeben
zu müssen. Vor einer Bundestagswahl zumal. Die Frage nach der
Finanzierbarkeit teurer Wahlversprechen war nie leichter
wegzuwischen. Wer auch immer im Herbst gewinnt, hat Spielraum – für
Entlastungen der Bürger, neue Ausgaben oder Schuldenabbau. Dass
Steuersenkungen überhaupt wieder salonfähig sind, sagt mehr über die
Lage im Land als jede Statistik. Seit sich die FDP 2013 als
Ein-Themen-Partei aus dem Bundestag katapultiert hat, lag jenes Thema
im Giftschrank.

Es war der DGB, der die Steuerpolitik entideologisiert hat, weil
er die kalte Progression als natürlichen Feind ganz normaler
Arbeitnehmer erkannte. Und damit das Steuerthema trennte vom
eigentlichen neoliberalen Mantra des möglichst schlanken Staates als
Selbstzweck. Dass es vom Straßenbau bis zu den Schulen genug zu tun
gibt, ist Konsens, freilich mit verschiedener Gewichtung in den
Parteien. Die Rekordeinnahmen geben aber den seltenen Spielraum für
beides – Investitionen in die Infrastruktur und Entlastungen der
Bürger. Gelänge das selbst nach immer neuen Rekorden nicht, geriete
Steuerpolitik zur Endlosspirale nach oben.

Fehlen noch klare Aussagen zum Wie. Wer verspricht, bei der
Lohnsteuer kleine und mittlere Einkommen zu entlasten, redet Unfug.
Der steile Anstieg der Steuertarife trifft vor allem die
Mittelschicht, eine Abflachung würde Leuten mit guten Einkommen viel
bringen, Geringverdienern wenig bis nichts, weil sie kaum Steuern
zahlen. Ihre Einkommen drücken um so mehr die Sozialbeiträge. Wer
ihnen helfen will, kann etwa die Rentenbeiträge senken, indem er die
Mütterrente aus Steuern statt Beiträgen finanziert. Die
Steuersenkungen müssten dann geringer ausfallen. Es gibt gute
Argumente für diverse Entlastungen, aber auch für Investitionen und
Schuldenabbau. Die Parteien müssen nur klar sagen, an welcher der
drei Stellschrauben sie wie oft drehen wollen.

Pressekontakt:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 – 804 6519
zentralredaktion@waz.de

Original-Content von: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, übermittelt durch news aktuell