WAZ: Wie 9/11 die Welt veränderte. Leitartikel von Gudrun Büscher

Jeder weiß, wo er war, als die Flugzeuge am 11.
September 2001 ins World Trade Center rasten. Die Menschen auf der
ganzen Welt waren Zeugen des Terroranschlags, der eine Dekade prägte,
das Leben veränderte. Es sind nicht die Wasserflaschen, die wir beim
Fliegen nicht mehr mitnehmen dürfen. Oder der Umgang mit unseren
Daten. Freiheit und Sicherheit standen schon immer in einem
Spannungsverhältnis, das durch Hysterie aus den Fugen gerät. Es ist
der Verlust, der dieses Jahrzehnt prägt. Der Verlust an Vertrauen, an
Kontrolle, an Gewissheit.

Osama bin Laden ist tot, aber Amerika ist nicht der Sieger. Was
nicht an Atta und seiner extremistischen Nihilisten-Truppe lag,
sondern an der orientierungslosen Bush-Regierung. Das Wir-Gefühl der
zivilisierten Welt nach den Anschlägen hat der Präsident als
Kriegsherr zerschlagen. Mit dem Gefangenenlager Guantánamo haben sich
die USA selbst verraten. Die Erlaubnis zu foltern war fatal. Die
Einschränkung von Rechtsstaat und Freiheit als Antwort auf den
Angriff auf eben diese Werte bleibt grotesk, die Folgen sind
verheerend. Die verzweifelten Staaten von Amerika sind dabei, sich
selbst zu besiegen – moralisch wie finanziell.

Der Vertrauensverlust betrifft nicht nur die Weltmacht USA.
Niemand spürte ihn deutlicher als die Muslime in aller Welt. Das
Mitgefühl für fast 3000 Opfer der Anschläge war global. Die
Schuldzuweisungen waren es nicht. Der 11. September hat die Muslime
und ihren Glauben unter Generalverdacht gestellt. Ist das der „Kampf
der Kulturen?“

Es gehört zu den versöhnlichen Erkenntnissen nach zehn Jahren,
dass die Rechnung bin Ladens nicht aufgegangen ist. Die Terrorgefahr
ist zwar weiterhin groß, aber die arabischen Massen konnte er für
seine Ideen nicht begeistern. Die Menschen kämpfen nicht für mehr
Islam in ihren Ländern, sondern für Demokratie und soziale
Gerechtigkeit. Dafür starben auch gestern mutige Syrer, die sich
gegen das Assad-Regime wehren. Mit Scharfschützen auf den Dächern und
Folter lassen sich die unerschrockenen Muslime von ihrem Traum von
einem besseren Leben nicht abbringen – ein Leben, das für die
allermeisten von ihnen nichts mit bin Ladens Visionen zu tun hat.

Und noch ein Hoffnungsschimmer. Dass der Westen (ohne Deutschland)
den libyschen Rebellen in ihrem Freiheitskampf half, war ein Akt der
Menschlichkeit. Teuer und uneigennützig, denn der Erfolg war nicht
garantiert, und Öl ließ sich auch bei Gaddafi kaufen. Doch diese
einmalige Waffenbrüderschaft der Nato mit einem arabischen Land
könnte sich als wertvoll erweisen. Als Meilenstein im Kampf um die
Kultur des Zusammenlebens.

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