Libysches Labyrinth
von JOerg Helge Wagner
Joschka Fischer hat ja Recht: Europa hat keine Idee, keinen Plan,
keine Initiative, um die blutige Krise in Libyen zu beenden. Als
grüner Außenminister hatte Fischer im Sommer 1999 gemeinsam mit
Kanzler Gerhard Schröder die deutsche Luftwaffe in ihren ersten
Kriegseinsatz nach 1945 geschickt: gegen die serbischen Streitkräfte,
die im Kosovo die Unabhängigkeitsbewegung zusammenschossen und dabei
einen gewaltigen Flüchtlingsstrom Richtung EU auslösten. Da die
allermeisten – rund 450
Veto-Mächte Russland und China im Weltsicherheitsrat gegen eine
Flugverbotszone waren, hat der Deutsche Bundestag schließlich sogar
gemeinsam mit der Nato auf ein UN-Mandat gepfiffen. Das wurde erst
später nachgereicht – nachdem deutsche und andere Nato-Jets die
serbische Flugabwehr pulverisiert und die serbische Luftwaffe an den
Boden genagelt hatten. Militärisch war das goldrichtig: Die Nato hat
im Kosovo nur ein einziges Flugzeug – pikanterweise einen
Tarnkappen-Jet – verloren und nicht einen einzigen Soldaten. Es ist
zwingend, die Kriege und Konflikte der vergangenen 30 Jahre zu
betrachten, wenn man nach einer Lösung für Libyen sucht. Dann wird
klar, dass es zwar Optionen gibt, aber keinen Königsweg: Immer lauern
Risiken, Unwägbarkeiten, schwer vertretbare „Kollateralschäden“. Auch
Professor Fischer zögert mit dem Ruf nach einem direkten
militärischen Eingreifen. Er fordert vielmehr „diskrete Hilfe und
Unterstützung“ für die libysche Opposition. Genau dies haben die USA
ab 1981 in Afghanistan getan: Die den sowjetischen Besatzern
hoffnungslos unterlegenen Mudschaheddin wurden so lange mit
hochmodernen tragbaren Flugabwehrraketen und Panzerabwehrwaffen
aufgerüstet, bis die stetig steigenden Verluste die Sowjets nach fast
zehn Jahren doch zum Abzug zwangen. Dass die US-Administration danach
jegliches Interesse an Afghanistan verlor, ist die Ursache für alle
folgenden Tragödien am Hindukusch. Auch in Libyen müsste man also
genau wissen, wer Gaddafi verjagen soll und – vor allem! – was danach
geschehen muss. So weit sind Barack Obamas Berater aber noch nicht.
Selbst der neue libysche „Nationalrat“ im befreiten Bengasi scheint
nicht zu wissen, was er eigentlich will: Er ruft nach einer
Flugverbotszone, lehnt aber eine militärische Intervention ab. Eine
Flugverbotszone ist aber immer eine massive militärische
Intervention, denn kein Staat beteiligt sich daran, wenn nicht als
erstes die gegnerische Flugabwehr „ausgeschaltet“ wird – und das
geschieht auch 2011 eher mit Bomben und Raketen als mit
Computerviren. Man kann jedoch davon ausgehen, dass dies dem
Golfkooperationsrat oder der Organisation der Islamischen Konferenz
schon klar ist, wenn sie ebenfalls nach einer Flugverbotszone rufen.
Das wiederum steigert die Aussicht auf ein UN-Mandat. Irgendwann
werden sich auch Gaddafis letzte Freunde in Moskau und Peking fragen,
was ihnen die Unterstützung des bizarren Potentaten eigentlich bringt
– und ob man nach dessen raschem Ende nicht lieber mit den
Nachfolgern ins Geschäft kommen sollte. Klar ist schon jetzt: Einfach
zuschauen, den Konflikt „ausbluten lassen“ (das hatte einst Egon Bahr
für den Balkan vorgeschlagen), geht in Libyen nicht. Was dann
passiert, konnte man nach 1991 im Irak studieren: Das Regime
stabilisierte sich vorläufig, aber die ganze Region wurde nachhaltig
destabilisiert. Das kann für Nordafrika niemand wollen – auch nicht
in Europa. joerg-helge.wagner@weser-kurier.de
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