Weser-Kurier: Kommentar zu Hollandes bisheriger Bilanz

François Hollande, der blasse Sozialist, den sogar
seine Parteifreunde „nur im Traum“ im Elysée sahen, überrascht
weiter: Sogar seine Gegner müssen einräumen, dass er einen
fehlerlosen Einstand als Präsident hinter sich gebracht hat.
Allerdings ist der 58-jährige Eliteschulabgänger in seinen ersten
rund 100 Tagen im Elysée auch kaum Risiken eingegangen. Stets hält er
sich in der Mitte – zwischen rechts und links außen, zwischen Berlin
und den EU-Südanrainern. Auch gegenüber Syrien betreibt Hollande eine
nach allen Richtungen gut austarierte Diplomatie. Ansonsten verweist
er immer wieder auf die Fehler seines Vorgängers Nicolas Syrkozy.
Frankreichs größte Wochenzeitschrift L–Express warnte Hollande jetzt,
das Schimpfen auf Sarkozy genüge nicht mehr. Sie nennt den neuen
Staatschef „l–hypnotiseur“, weil er Frankreich einschläfere statt von
Grund auf zu reformieren. Was für Hollande aber gewichtiger ist:
Selbst in der Bevölkerung wachsen die Zweifel an den Amtsgeschäften
deutlich. In einer aktuellen Umfrage meinten 61 Prozent der
Franzosen, Hollande sollte seinen „Reformrhythmus beschleunigen“. Der
Minister für produktiven Aufschwung, Arnaud Montebourg, verteidigt
sich: „Man stellt ein Land wie Frankreich nicht in 100 Tagen auf die
Beine.“ Hollande lässt aber auch langfristig Ansätze einer effektiven
Strukturpolitik vermissen, gegen die drei Krebsübel der französischen
Wirtschaft wirksam vorzugehen – die Arbeitslosigkeit von fast zehn
Prozent, die rapid sinkende Wettbewerbsfähigkeit der Exportfirmen
sowie die riesige Staatsschuld von 1700 Millliarden Euro. Hollande
beteuert weiterhin, er werde das Haushaltdefizit 2013 auf drei
Prozent drücken. Das würde aber drakonische Einsparungen von 33
Milliarden Euro erfordern. Zumal in Rezessionszeiten scheint das für
eine Linksregierung ein politisch unerreichbares Ziel. Die
Budgetdebatte im Herbst wird deshalb für die Regierung in Paris zu
seinem ersten richtigen Härtetest. Dann muss Hollande Farbe bekennen.

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