Vom Ende her denken. Das ist das politische
Leitmotiv von Kanzlerin Angela Merkel. Doch ausgerechnet sie hat sich
bislang nicht daran gehalten – zumindest, wenn es um den Euro geht.
Sonst hätte sie nicht erst gestern gefordert, zugunsten einer
politischen Union weitere nationale Kompetenzen an Europa abzugeben.
Sondern schon in den 90er Jahren – damals, als der Fahrplan zur
Einführung des Euro aufgestellt worden ist. Denn es war von Anfang an
klar: Wenn fast zwei Dutzend Staaten eine gemeinsame Währung
einführen, müssen auch gemeinsame politische und wirtschaftliche
Spielregeln gelten. Das heißt vom Ende her gedacht: Aufgabe
staatlicher Souveränität und Unterordnung aller Mitgliedsländer – von
San Marino bis Deutschland – unter eine europäische Zentralinstanz.
Zugegeben: Jeder Politiker, der dies damals vertreten hätte, wäre vom
Wähler bei nächster Gelegenheit in die Polit-Rente geschickt worden.
Mehr als die Aufgabe der geliebten D-Mark war den Deutschen wohl
nicht zuzumuten. Einige Jahre schien auch alles gut zu gehen. Nun
aber, da Euro und Euro-Länder nach der jahrelangen Banken- und
Finanzkrise an der Grenze ihrer Belastbarkeit angelangt sind,
offenbart sich der Konstruktionsfehler der Gemeinschaftswährung
schonungslos. Deshalb: Die Kanzlerin hat recht. Es ist besser, spät
die richtigen Schlüsse zu ziehen als gar nicht. Wobei klar sein muss,
dass es mit ein bisschen mehr Europa nicht getan ist. Langfristig
führt kein Weg an den Vereinigten Staaten von Europa vorbei – mit
allen Konsequenzen auch für Deutschland: Das wichtigste Parlament
wäre dann nicht mehr der Bundestag, sondern ein gestärktes
Europaparlament, dessen Gesetze für alle Einwohner vom Mittelmeer bis
zu den finnischen Polarregionen gelten. Das Bundeskanzleramt wäre
dann nicht mehr das deutsche Machtzentrum, sondern eine höhere
Verwaltungsbehörde mit begrenztem eigenen Entscheidungsspielraum.
Außerdem würden einige Top-Immobilien in bester Berliner Lage frei:
Ein eigenes Außenministerium wäre genauso wenig nötig wie ein
Bundespräsident in Schloss Bellevue. Und wie sieht–s mit einer
gemeinsamen Staatsbürgerschaft aus? Auch diese Frage wird sich
stellen. Genauso wie jene, ob in den Vereinigten Staaten von Europa
nationale Armeen noch eine Daseinsberechtigung haben – oder ob eine
einheitliche EU-Streitmacht nicht viel stärker und letztlich auch
finanziell günstiger wäre. Ob Europa aber bei den Europäern
durchsetzbar ist, hängt davon ab, wie es mit seiner wachsenden Macht
umgeht: Erleben Deutsche, Italiener, Niederländer oder Griechen vor
allem eine ausufernde Bürokratie, wird Europa auseinanderbrechen –
noch ehe es wirklich geeint ist.
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