Guten Tag, Sie haben einen großen Koffer, tragen
einen Vollbart und halten sich seit anderthalb Stunden auf dem
Bahnhof auf. Sie sind festgenommen.“ Zugegeben: Es mag ziemlich
überspitzt sein, sich die Zukunft der Verbrechensbekämpfung so
vorzustellen. Doch woran da auf EU-Ebene geforscht wird, erinnert nun
wirklich an Orwells Big Brother, der seine Augen überall hat. Ein
hochkomplexes System, das Menschen beobachtet, ihr Verhalten
analysiert, entsprechende Schlüsse daraus zieht, auf Datenbanken
zugreift, Alarm schlägt und den Verdächtigen verfolgen lässt, das
klingt doch eher nach Science-Fiction als nach seriöser
Ermittlungsarbeit der Sicherheitsbehörden. Ist es aber nicht. Und
deshalb sind die Vorbehalte groß und die Fragen zahlreich, wenn es um
Indect geht. So gravierend, dass selbst das Bundeskriminalamt eine
Projektpartnerschaft ablehnt. Man weiß gar nicht, welchen Punkt man
zuerst nennen soll, bei dem es – vorsichtig formuliert – juristische
Bedenken gibt: Das massenhafte Scannen von Menschen im öffentlichen
Raum? Das Abgleichen gesammelter Informationen mit Datenbanken? Das
Verfolgen Verdächtiger mit Drohnen? Oder die schlichte Frage, ob ein
Computer wirklich „abnormales Verhalten“ erkennen kann? Unterm Strich
ist wohl die Befürchtung am gravierendsten, dass die generelle
Unschuldsvermutung ausgehebelt wird und am Ende jeder verdächtig ist.
Die Arbeit der Polizei und der Justiz unterliegt – aus gutem Grund –
einem strengen Reglement. Jemanden zu beobachten, ihn zu
verdächtigen, gegen ihn zu ermitteln – all das bedarf konkreter
Anhaltspunkte. Die Vorstellung, dass künftig eine Software unter
Umständen die Entscheidungen eines Richters übernimmt, erschreckt
deshalb nicht nur Datenschützer und Bürgerrechtler. Natürlich müssen
die heutigen technischen Möglichkeiten auch bei der
Verbrechensbekämpfung genutzt werden. Und dabei wird auch immer
wieder die Frage, wer, wo und wie beobachtet werden darf, neu
beantwortet werden müssen. Indect allerdings schießt in der bislang
konzipierten Form weit übers Ziel hinaus. Den Verantwortlichen in der
EU bleibt nur eines: abrüsten.
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