Die Dschihadisten-Gruppe „Islamischer Staat“ (ISIS)
entwickelt sich zu einer Bedrohung, die weit über Syrien und den Irak
herausreicht. Seit der Menschenjagd der Extremisten auf die Jesiden 
im Irak und der Enthauptung des US-Journalisten James Foley ist auch 
der Westen aufgewacht. Die nordirakischen Kurden erhalten Waffen aus 
NATO-Ländern, US-Verteidigungsminister Chuck Hagel nennt ISIS eine 
Terrorgruppe, die so hoch entwickelt und finanziell so gut 
ausgestattet sei wie keine andere. US-Generalstabschef Martin Dempsey
spricht von einer Organisation mit einer „apokalyptischen“ 
Ausrichtung, die früher oder später besiegt werden müsse, und zwar im
Zentrum des ISIS-Gebietes in Syrien. Eine Konfrontation mit ISIS in 
Syrien würde für den Westen aber genau das bedeuten, was er seit dem 
Ausbruch des Bürgerkrieges dort vor mehr als drei Jahren unter allen 
Umständen vermeiden will: eine Intervention. Bisher versuchen 
Amerikaner und Europäer mit Luftschlägen und Waffenlieferungen an die
Kurden, ISIS Einhalt zu gebieten, ohne sich selbst militärisch 
ernsthaft engagieren zu müssen. Ob das reicht, ist ungewiss. ISIS zu 
besiegen, wird nicht nur militärisch schwer. In großen Teilen Syriens
und des Iraks herrscht ein Machtvakuum, das die Extremisten füllen. 
Selbst wenn es dem zerstrittenen UN-Sicherheitsrat gelänge, sich 
angesichts der Bedrohung auf eine gemeinsame Linie im Syrien-Konflikt
zu einigen, wäre das allerhöchstens der Anfang eines langen Weges, um
die ISIS auszuschalten. Dasselbe gilt für den Fall, dass die 
Regierungskrise im Irak über Nacht neuer Einigkeit der Politiker in 
Bagdad weichen sollte. Selbst effizientere Wege, ISIS den Geldhahn 
abzudrehen, hätten voraussichtlich keine unmittelbare Wirkung: 
Spätestens seit ihrem Raubzug im Irak hat die Miliz ein eigenes 
Millionenvermögen, zudem macht sie Gewinne durch den illegalen 
Verkauf von Öl. Für eine effektive Bekämpfung des ISIS spielt ein 
Akteur eine Schlüsselrolle: die Türkei. Über ihre lange Grenze 
gelangt ISIS-Nachschub an Kämpfern und Material nach Syrien. 
Schärfere Kontrollen könnten diese Wege vielleicht nicht vollständig 
versperren, doch sie könnten der ISIS zumindest das Leben schwer 
machen. Ankara zögert – wegen 50 türkischer Geiseln in der Gewalt der
ISIS und der Gefahr von Vergeltungsschlägen der Extremisten in der 
Türkei selbst. Auch bei einer möglichen westlichen Intervention in 
Syrien zur Zerschlagung der ISIS wäre die Türkei als NATO-Vertreter 
an der Grenze zum Machtgebiet der Extremisten von enormer Bedeutung. 
Deshalb sollten Amerikaner und Europäer sofort damit beginnen, sich 
mit Präsident Erdogan und Premier Davutoglu auf eine gemeinsame Linie
zu einigen. Der Westen und die Türkei sollten ihre 
Geheimdienst-Kontakte ausbauen, um westliche ISIS-Kämpfer an der 
Reise nach Syrien zu hindern – nach dem zerschlagenen Porzellan der 
BND-Affäre keine Selbstverständlichkeit.
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