Westdeutsche Zeitung: An Gaucks erster großen Rede gibt es nur wenig zu kritisieren – 23 Minuten und ein wenig Selbstironie Ein Kommentar von Martin Vogler

Nach den eher unglücklich zu Ende gegangenen
Amtszeiten von Horst Köhler und Christian Wulff hat Deutschland jetzt
einen Präsidenten, der mit seiner ersten großen Rede auch erste
hoffnungsvoll stimmende Signale ausgesendet hat. Thematisch wird
Joachim Gauck sich bei der zu Recht hohen Gewichtung der Freiheit
treu bleiben. Das war klar. Gleichzeitig skizzierte er aber
glücklicherweise die weiteren Themen, die ihm besonders wichtig sein
werden. Er hat sich deutlich gegen Rechtsextremismus und
Fremdenfeindlichkeit positioniert und sich – was ja keine
Selbstverständlichkeit mehr ist – zu Europa bekannt. Den Deutschen
wolle er Mut machen. Prima, wenn ihm das gelingt. Die Integration von
Ausländern wolle er zu seiner Herzensangelegenheit machen. Womit
Gauck geschickt ein Anliegen seines Vorgängers aufnimmt. Das ist auch
als noble Geste Christian Wulff gegenüber zu werten.

Die Qualität der 23-minütigen Ansprache ist kein Garant dafür,
dass Gauck ein beeindruckender elfter Präsident Deutschlands wird.
Doch sein Auftreten war der Position würdig, die Inhalte zumindest
wegen ihrer Vielfalt ebenfalls gut. Noch besser wäre es gewesen, wenn
Gauck klarere Schwerpunkte gesetzt hätte und Lösungen für die vielen
Probleme nicht nur angedeutet, sondern konkret aufgezeigt hätte. Aber
das wird sicherlich alles in den nächsten Monaten noch folgen.
Vielleicht war es sogar ein bewusster Schachzug von ihm, sich beim
ersten großen Auftritt noch nicht zu weit vorzuwagen.

Gauck hat die Chance, ein profilierter und Impulse gebender
Präsident zu werden. Die überwältigende Mehrheit bei seiner Wahl und
seine Sonderrolle als erstes parteiloses Staatsoberhaupt geben ihm so
viel Unabhängigkeit, wie sie womöglich keiner vor ihm hatte. Er kann
ein sehr politischer Präsident werden, also die Aufgabe ähnlich wie
einst Richard von Weizsäcker interpretieren.

Wahrscheinlich steht einer erfolgreichen Amtszeit höchstens Gaucks
Eitelkeit im Wege. Ein Präsident unterliegt da ja besonderen
Versuchungen. Doch er scheint sich der Gefahr bewusst, konterte
gestern sogar eine diesbezügliche spitze Bemerkung des
Bundestagspräsidenten Lammert mit Selbstironie. Wenn er diesen Kurs
durchhält, kann er ein guter Präsident werden.

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