Westdeutsche Zeitung: Arbeitsmarkt = von Lothar Leuschen

Fast klingt es wie ein Märchen aus 1001 Nacht.
Nie gab es mehr Erwerbstätige in Deutschland, nie waren mehr Stellen
zu besetzen. Die Bundesbürger sind in Kauflaune, während um die
Republik herum die Schuldenkrise an den Geldbörsen der Bürger nagt.
Aber es ist kein Märchen. Es ist Realität und Ergebnis harter,
konsequenter Arbeit. Deutschland hat sich in der ersten Dekade des
dritten Jahrtausends fit gemacht für die nächsten Jahrzehnte. Die
Unternehmen sind moderner organisiert denn je, der Arbeitsmarkt war
nie so flexibel. Politiker, Unternehmer und Gewerkschafter haben dem
Industrie-Dinosaurier Beine gemacht. Die Frage ist nur, ob alle das
Tempo mithalten können. Denn wie alle Medaillen hat auch diese eine
Kehrseite. Von den gut 41 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland
zahlen knapp 29 Millionen Beiträge an die Rentenkasse. Das sind zwar
immer noch so viele wie seit 1992 nicht mehr. Doch die Statistik
besagt auch, dass zwölf Millionen Arbeitnehmer sich nicht über die
staatlichen Systeme absichern. Die meisten davon werden mit ihren
Einkünften nicht in der Lage sein, privat für die Rente zu sparen.
Und von den 29 Millionen Versicherungspflichtigen arbeitet ein immer
größerer Anteil in mäßig bezahlten befristeten
Beschäftigungsverhältnissen. Die Zeitarbeitsbranche wächst seit
Jahren ungebremst – nicht zuletzt, weil sie den Unternehmen mit
verhältnismäßig niedrigen Lohnkosten nützt. Das ist gegenwärtig gut
für die Wirtschaft und auch für jene, die in Lohn und Brot stehen.
Aber der Geschichte könnte es am glücklichen Ende mangeln. Zwölf
Millionen Arbeitnehmer, die in keine Rentenkasse einzahlen,
Hunderttausende von Zeitarbeitern, die privat kaum fürs Alter
vorsorgen können, werden irgendwann in den Ruhestand treten und von
irgendetwas leben müssen. Viel wird das aller Voraussicht nach nicht
sein. Das oft zitierte deutsche Jobwunder von heute produziert die
Altersarmut von morgen. Das kann und darf sich ein Sozialstaat wie
Deutschland aber nicht leisten. Deshalb sind Politik, Unternehmer und
Gewerkschafter gefordert, auf die drohende Armutswelle bald eine
Antwort zu finden, die den aktuellen Erfolg nicht gefährdet. Zum
Nulltarif wird es diese Quadratur des Kreises allerdings nicht geben.

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