Westdeutsche Zeitung: BND Spionage – Milde Mahnungen nur noch lächerlich Ein Kommentar von Stefan Vetter

Joachim Gauck hat in den letzten Wochen jede
Menge Klartext gesprochen. Seine Äußerungen gefielen längst nicht
allen. Und zweifellos ist manches davon auch zu hinterfragen. Aber
Gauck vermochte wichtige gesellschaftliche Debatten anzustoßen. Zur
NSA-Affäre indes hat der Bundespräsident lange Zeit beharrlich
geschwiegen. Doch auch damit ist es jetzt vorbei.

Der Fall bekommt eine neue Dimension. Auch für Angela Merkel. Denn
bislang hat die Kanzlerin lediglich ein paar eher dürre Bemerkungen
zu den aktuellen Vorgängen verlauten lassen. Und das auch nur über
ihren Sprecher. Nach Gaucks überfälliger Einlassung wird das nicht so
bleiben können. Natürlich hat es Gauck in dieser Hinsicht politisch
einfacher. Schon von Amts wegen muss er sich in erster Linie um
repräsentative Aufgaben kümmern, weniger um politische
Entscheidungen. Bei der Kanzlerin ist es praktisch genau umgekehrt.

Es wäre jedoch eine Fehleinschätzung, zu glauben, Gauck entdecke
jetzt das brisante Thema, um sich auf Kosten Merkels weiter zu
profilieren. Schließlich hat der Bundespräsident seine Kritik in
einen Konditionalsatz gekleidet: Wenn sich der Vorgang bewahrheiten
sollte, dann wäre das deutsch-amerikanische Verhältnis endgültig in
einer tiefen Krise. Gerade deshalb muss der Fall jetzt so schnell und
umfassend wie möglich aufgeklärt werden. Anders als bei früheren
Enthüllungen über die NSA gibt es zumindest handfeste Anhaltspunkte.
Nämlich einen echten Spionageverdacht und einen konkreten
Beschuldigten. Das Kanzleramt ist nahezu täglich mit dem
Bundesnachrichtendienst in Kontakt, um sich über wichtige
Erkenntnisse bei der Auslandsaufklärung unterrichten zu lassen. So
betrachtet könnte hier zügig Licht ins Dunkel gebracht werden.

Der Verdacht, die US-Geheimdienste machten bei ihren Schnüffeleien
auch vor der demokratisch gewählten Volksvertretung des vielleicht
wichtigsten demokratischen Bündnispartners nicht halt, wiegt
jedenfalls so schwer, dass milde Mahnungen in Richtung Washington nur
noch lächerlich wirken können. Das muss sich dringend ändern. Gauck
hat dafür den Anstoß gegeben.

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