Joachim Gauck ist der krasse Gegenentwurf zu
seinem Vorgänger: nicht jung, nicht sehr dynamisch, nicht
klatschspaltentauglich – nicht ungeschickt. Zwei Jahre ist der
evangelische Pfarrer aus Rostock nun im Amt des Bundespräsidenten.
Und wer die vergangenen 24 Monate Revue passieren lässt, wird wenige
Bilder im Kopf haben. Gaucks Auftritte haben nichts Mondänes, und das
Volk hängt auch nicht an seinen Lippen, wenn er spricht. Dabei gibt
es wirklich viel zu hören, wenn Gauck seine Worte sorgfältig wählt
und aus ihnen Sätze formt. Der Mann aus Mecklenburg-Vorpommern
versteht es, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Das war so, als er
die Bundeskanzlerin in einem Sommerinterview aufforderte, den
Deutschen die Europakrise zu erklären. Das war so, als er
NPD-Mitglieder als Spinner bezeichnete. Und es war so, als er sich
bei den arg gebeutelten Griechen für die Verbrechen entschuldigte,
die Deutsche im Zweiten Weltkrieg an wehrlosen Griechen verübt
hatten. Gauck kann die Wahrheit sagen, ohne dabei sonderlich
aufgeregt zu wirken. Er ist ein ruhiger Bundespräsident, einer, der
mit Rede zu vermitteln versucht. Der Pfarrer in Joachim Gauck führt
Regie, wenn er über Armut in einer reichen Gesellschaft redet. Der
Deutsche aus Liebe und Leidenschaft spricht aus ihm, wenn er junge
Inder auffordert, nach Deutschland zu kommen, weil hier noch genügend
Platz ist. Gauck lebt Patriotismus charmant, aufrichtig, sympathisch.
Er ist ein guter Bundespräsident. Die nächsten Jahre seiner Amtszeit
werden zeigen, ob er ein sehr guter Bundespräsident gewesen ist. Denn
in der gegenwärtigen politischen Landschaft ist er mehr denn je
gefordert als Mittler zwischen Regierenden und Regierten. Die
Übermacht der großen Koalition birgt die Gefahr, dass „durchregiert“
wird, wenn Schwarz und Rot erst einmal den Gleichschritt gefunden
haben. Dann kommt die Zeit des höchsten Amtes im Staate als Korrektiv
einer Regierung ohne Opposition. Gauck hat das Zeug dazu. Aber hat er
auch den Mut? Wenn ja, kann er, der vor zwei Jahren noch so kritisch
beäugt wurde, als großer Bundespräsident in die Geschichte dieses
Landes eingehen.
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