Westdeutsche Zeitung: Der Schwenk hin zum Mindestlohn – In der CDU verschieben sich die Gewichte Ein Kommentar von Wolfgang Radau

Wenn dieses Jahr zu Ende gegangen ist und die
schwarz-gelbe Koalition Rückschau hält, werden die Bundeskanzlerin
und ihre Weggefährten feststellen, dass vieles nicht mehr so ist, wie
es war. Die Wehrpflicht, ein Eckpfeiler im Weltbild der Union –
faktisch abgeschafft. Die Kernenergie, ohne die für Christdemokraten
nichts lief in Industrie-Deutschland – ein Auslaufmodell.

Und nun der Mindestlohn. Noch im November wollen die FDP und auch
die CDU auf Parteitagen für Branchen, die so etwas noch nicht haben,
verbindliche Lohnuntergrenzen vorschreiben. Ausgehandelt von den
Tarifparteien, in der Konsequenz jedoch gesetzlich verankerte
Mindestlöhne, wie sie im Koalitionsvertrag noch ausdrücklich
ausgeschlossen waren. Angela Merkel hat offenbar keine Probleme,
einzugestehen, dass auch Politiker mit dem Lauf der Zeit klüger
werden können, ja müssen.

Die politische Opposition und der Deutsche Gewerkschaftsbund
quittieren bereits mit verhaltenem Jubel, dass die Koalition in der
Sache auf ihre Linie eingeschwenkt ist. In der CDU und der FDP muss
noch Überzeugungsarbeit geleistet werden, die CSU dürfte keine
Schwierigkeiten machen, und am Ende wird es nur noch um den Namen
gehen, den das Kind bekommt: politischer oder marktwirtschaftlich
organisierter Mindestlohn.

Mindestlöhne gibt es bereits in diversen Branchen: etwa im
Baugewerbe und in der Pflege. In Bereichen also, in denen im wahrsten
Sinne des Wortes Knochenarbeit geleistet wird. Hier wie auch auf den
Berufsfeldern, die noch keine entsprechenden Tarifverträge haben, ist
es eine Frage der Würde, dass die Menschen, auf deren berufliches
Können und Engagement unsere Gesellschaft angewiesen ist, auch von
ihrer Hände Arbeit leben können. Und zwar deutlich besser, als wenn
sie resignieren und sich mit staatlichen Transferleistungen zufrieden
geben.

Für die Union bedeutet der Schwenk zum Mindestlohn eine
Verschiebung der politischen Gewichte. Mit dem engagierten
Arbeitnehmer-Flügelmann Laumann und der nicht minder streitbaren
Arbeitsministerin von der Leyen erweitert die CDU ihre Bandbreite für
den Bundestagswahlkampf 2013, der mit sozialen Inhalten geführt
werden wird wie schon lange nicht mehr.

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