Die Türkei hat gewählt. Sie entschied sich
gegen einen raschen Beitritt in die EU. Deshalb ist der große
Wahlsieger, Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, gleichzeitig auch
der große Verlierer. Zwar hat fast jeder zweite Türke dem „Sultan von
Ankara“ genannten Konservativen seine Stimme gegeben, aber für die
Zweidrittel-Mehrheit im Parlament reichte es nicht.
Damit machten die Wähler Erdogan einen Strich durch dessen so
einfache Rechnung. Ob sie das so wollten oder ob die künftig
erheblich bunter zusammengesetzte Volksvertretung lediglich die
innenpolitische Stimmung abbildet, spielt für das Ausland dabei eine
untergeordnete Rolle. Zwar spricht es für die Demokratisierung der
Gesellschaft am Bosporus, dass die Zahl der Frauen im Parlament von
gut 40 auf 78 gestiegen ist und dass nach langer Abwesenheit auch
wieder ein Christ ein Mandat hat gewinnen können. Aber das alles hat
die Türkei dem Beitritt in die Europäische Union nicht einen
Millimeter näher gebracht.
Denn Erdogan kann die Verfassung des Staates nun nicht im
Alleingang auf westlich-pluralistisch trimmen, er braucht Partner.
Die wolle er nun suchen, hat er nach seinem Wahlsieg wissen lassen.
Doch er wird sie kaum finden können. Die rechtsnationalistischen
Kräfte im Parlament haben mit Europa überhaupt nichts im Sinn. Und
dem liberalen Lager in der Türkei ist der zunehmend autoritär
auftretende Ministerpräsident zu rückwärtsgewandt. Also wird Erdogan
bei den 135 Laizisten wahrscheinlich erst gar nicht um Unterstützung
werben. Der Preis wäre zu hoch. Erdogan ist an einer strikten
Trennung von Staat und Religion weniger interessiert als die größte
Oppositionsfraktion.
Mithin ist der Weg Ankaras nach Europa am Sonntag noch ein gutes
Stück weiter geworden. Das Wahlergebnis markiert keinen Aufbruch nach
Europa. In Deutschland bleiben vor allem die spaltenden Reden
Erdogans in Köln und zuletzt in Düsseldorf in Erinnerung. Die
Verhandlungsposition des türkischen Ministerpräsidenten gegenüber dem
europäischen Schwergewicht Deutschland hat sich nicht verbessert.
Deshalb ist die von Berlin angebotene privilegierte Partnerschaft
auch auf lange Sicht das Maximum an Nähe zwischen der Türkei und der
Europäischen Union.
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