Westdeutsche Zeitung: Deutschland ist im digitalen Zeitalter angekommen = Von Christoph Lumme

Die industrielle Revolution dauerte ein
Jahrhundert, die digitale Revolution nicht einmal ein Jahrzehnt. Die
industrielle Revolution kam mit Dampf, Getöse und monströser Technik
über die Menschen, die digitale Revolution mit leisen
Mini-Maschinchen, die bis ins Unsichtbare schrumpfen. Doch die
Winzigkeit des High-Tech-Seins täuscht: Mit Tempo hat das Internet
die Lebensstile der Deutschen umgekrempelt. Seine Dynamik ist so
gewaltig, dass es uns in ein neues Zeitalter katapultiert hat. Das
Internet wird zum Turbo der Kommunikationsgesellschaft: Wir
diskutieren mit Freunden im Netz, machen dort unseren Job, suchen
nach der Liebe fürs Leben, gehen auf Schnäppchenjagd, buchen
Urlaubsreisen, trauern um Angehörige auf virtuellen Friedhöfen. Das
Internet ist die unsichtbare Mega-Maschine unserer Zeit; es löst die
Grenzen von Raum und Zeit auf, saugt alle Bereiche des Lebens auf.
Schon warnt die IT-Branche, dass ein digitaler Graben entsteht, eine
Offline-Unterschicht, die sich fremd fühlt in der schönen neuen Welt
der Laptops, i-Pads und Smartphones. Dabei ist die Wirklichkeit
komplexer. Fest steht zwar: Wer sich nicht sicher im Internet bewegt,
hat es auf dem Arbeitsmarkt schwer. Doch sind nicht unbedingt
diejenigen die Gewinner der digitalen Revolution, die sich täglich
exzessiv auf der Datenautobahn tummeln. Im Gegenteil: Wer sich vom
Netz aufsaugen lässt, wird sich darin verlieren.
Konzentrationsmangel, Übergewicht, Vereinsamung und Burnout sind der
Preis, den Online-Junkies zahlen. Die ständige Erreichbarkeit im
digitalen Kosmos macht uns nicht intelligenter, sondern leerer.
Multi-Tasking im Daten-Ozean macht uns nicht effektiver, sondern
unkonzentrierer. Wer heute vom Internet profitieren will, braucht
Netzkompetenz – einen Kompass, um sicher durch Datenmüll und
Infoschrott zu navigieren. Das Internet mag sich noch so viel von
unserem Leben einverleiben – der Mensch geht nicht als Cyborg im Netz
auf; er bleibt ein analoges Wesen aus Fleisch und Blut. Deshalb
braucht unser junges Zeitalter eine neue Kulturtechnik: die
Fähigkeit, den Stecker zu ziehen und zu bekennen: „Ich bin dann mal
offline.“

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