Westdeutsche Zeitung: Die Rote Karte: Wer schlägt, muss gehen = von Peter Kurz

Der Täter hat sein Opfer vergewaltigt oder
brutal zusammengeschlagen. Er muss in Haft. Aber nach drei,
vielleicht schon nach zwei Jahren wird er wieder entlassen. Kehrt
zurück in das Haus, in dem ein Stockwerk höher das Opfer wohnt.
Dieses Opfer begegnet ihm nun im Hausflur. Fürchtet das
Aufeinandertreffen. Immer wieder, jeden Tag. Was wird es tun, um sich
dieser schwer belastenden Situation nicht auszusetzen? Wegziehen. So
ist es bis jetzt. Nun soll sich das ändern. Die Justizminister sind
sich einig, den Schutz von Opfern schwerer Sexual- und Gewaltdelikte
durch ein Distanzgebot zu verbessern. Dem Täter soll gerichtlich
auferlegt werden, aus der näheren Umgebung wegzuziehen. Es ist
wichtig und richtig, dem Strafrichter ein Instrument in die Hand zu
geben, um aktiv Opferschutz zu betreiben. Und damit dem weit
verbreiteten Eindruck entgegen zu steuern, es gehe vor Gericht immer
nur um den Täter – um dessen Rechte, um dessen Resozialisierung.
Dabei sind die Strafrichter die falsche Adresse für solche
Vorhaltungen. Es ist schließlich ihre Aufgabe, Tat und Täter zu
beurteilen. Auch wenn die Justizminister jetzt Einigkeit zeigen – bis
das Vorhaben Wirklichkeit wird, dürften noch viele Bedenken auf den
Tisch kommen. Schließlich würden ein entsprechendes Gesetz und die
darauf beruhende richterliche Anordnung in ein hochrangiges Recht
eingreifen – das Grundrecht (auch) des Gewalttäters auf
Freizügigkeit. Danach darf jeder seinen Wohnsitz dort nehmen, wo er
möchte. Darunter fällt auch das Nicht-Wegziehen-Müssen. Doch auch
dieses Grundrecht hat Grenzen. So kann schon jetzt nach dem
Gewaltschutzgesetz etwa die vergewaltigte Partnerin verlangen, dass
der Täter aus der gemeinsamen Wohnung auszieht. Doch das hilft nicht
in Fällen wie dem eingangs geschilderten. Vor allem aber muss hier
ein gesondertes zivilrechtliches Verfahren angestrengt werden. Ein
Distanzgebot hingegen wäre unkomplizierter, würde direkt vom
Strafrichter mit dem Urteil ausgesprochen. Gewiss ist es für den
Täter einschneidend, zwangsumgesiedelt zu werden. Aber es trifft den
Richtigen, den Schuldigen. Und es bleibt nicht dem traumatisierten
Opfer überlassen, dem Täter aus dem Weg zu gehen. Wer schlägt, der
geht.

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