Westdeutsche Zeitung: Die Wehrpflicht hat ausgedient = Von Wolfgang Radau

Nach mehr als fünf Jahrzehnten werden heute zum
letzten Mal Wehrpflichtige zum Bund eingezogen. Wer zu Hause bleibt,
muss nicht mal mehr mit Sanktionen rechnen. Die Wehrpflicht wurde zum
Auslaufmodell; bereits zum 1. März werden nur noch Freiwillige
eingestellt. Millionen junger Männer haben seit 1957 ihrem Land Zeit
opfern müssen. Anfangs 12 Monate, nach dem Mauerbau sogar 18 Monate,
danach 15, 12, zehn, neun und zuletzt nur noch sechs Monate. Am
Beginn stand der Kalte Krieg. Der Bundes-Wehrpflichtige war in alter
preußischer Tradition „geborener Verteidiger seines Landes“ und als
„Staatsbürger in Uniform“ ein vitales Bindeglied zwischen Militär und
Zivilgesellschaft – ein gelungenes Konzept. Mit der Wahlfreiheit zum
Zivildienst sank die Zahl derer, die den Dienst bei der Bundeswehr
wählten. Gleichzeitig wurden die Zivis zum unentbehrlichen
Bestandteil des sozialen Netzes. Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges
blieb die Wehrgerechtigkeit ganz auf der Strecke. Die Bundeswehr
schrumpfte, es gab keine Nachbarn mehr, gegen die sich Deutschland
schützen musste. In internationale Einsätze gingen nur Freiwillige.
So waren es am Ende noch 12 Prozent eines Jahrgangs, die tatsächlich
Uniform anzogen. Beklagt wurde das schon lange. Minister Guttenberg
packte als erster Verantwortlicher das heiße Eisen an. Der
finanziellen Not gehorchend. Die neue Bundeswehr muss ihre Rolle noch
finden. Wird sie in der Lage sein, schnell mit Mann und Gerät
auszuhelfen, wenn bei einer Hochwasser-Katastrophe jede Hand
gebraucht wird? Wird sie rechtzeitig die politische Legitimation
erhalten, unser Land im Innern zu verteidigen, wenn Terror durch
islamistische Fanatiker droht? Welche Qualität wird eine Reserve
haben, deren freiwillig angeworbene Soldaten nach drei, vier Monaten
Grundausbildung nicht mehr zu regelmäßigen Übungen herangezogen
werden? Und auch wenn dies keine ureigene Aufgabe der Bundeswehr war:
Wie werden in Zukunft die sozialen Dienste ihre Aufgaben erfüllen
können? Und was geschieht in den Landstrichen, in denen keine
Soldaten mehr für Arbeitsplätze und Kaufkraft sorgen? Die alte
Bundeswehr hat sich bewährt. Die neue Bundeswehr muss sich noch
bewähren.

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