Es kommt eher selten vor, dass Israelis und
Palästinenser einen gemeinsamen Grund zum Jubeln haben. Der
Gefangenenaustausch zählt sicherlich dazu. Ob er aber das Prädikat
„historisch“ verdient und als Meilenstein auf dem Weg in eine
friedliche Zukunft des Nahen Ostens in die Geschichtsbücher eingehen
wird, ist mehr als fraglich.
Auf den ersten Blick gibt es nur Sieger. Da ist Israels
Regierungschef Benjamin Netanjahu, der mit der Rückkehr Gilad
Schalits den größten Erfolg seiner Amtszeit verbuchen kann. Er hat
eines der höchsten Prinzipien jüdischer Ethik befolgt – „Pikuach
Nefesh“, die Verpflichtung zur Rettung von Leben. Dieser vor allem
moralische Sieg wiegt höher als die potenzielle Gefahr, die von den
freigepressten Hamas-Kämpfern ausgeht.
Dem Premier aber jegliches politisches Kalkül abzusprechen, wäre
naiv. Netanjahu steht innenpolitisch unter Druck, denn die sozialen
Spannungen im Land nehmen zu. Der Friedensprozess stockt. Seine
rigide Siedlungspolitik trägt nicht dazu bei, ihn wieder in Gang zu
setzen. Dem Regierungschef kommt es gelegen, dass er mit dem
Gefangenenaustausch die Position von Palästinenserpräsident Mahmud
Abbas schwächt. Der Hamas-Gegner hatte es gewagt, trotz Israels
Warnungen einen Antrag auf Aufnahme in die UN zu stellen. Netanjahu
weiß auch um die veränderten Kräfteverhältnisse nach dem Arabischen
Frühling. Ägypten hat zwar signalisiert, weiter als Vermittler zu
fungieren. Doch niemand weiß, wie sich der Einfluss des Landes auf
die Hamas und damit auf künftige Friedensgespräche auswirkt.
Als Sieger darf sich auch die Hamas fühlen. Die Terrororganisation
ist in den Verhandlungen hart geblieben und hat eindrucksvoll
gezeigt, dass die Methode der Soldatenentführung zur Befreiung
eigener Mitstreiter ein erfolgreiches Geschäftsmodell ist – ein
zynischer Pluspunkt auch im palästinensischen Machtpoker mit der
gemäßigten Fatah.
Ein echter Sieg für die Region und für die Welt wird aus dem
Gefangenenaustausch aber erst, wenn er den Weg ebnet für
weiterführende Gespräche zwischen den verfeindeten Parteien. Bis
dahin muss uns das glückliche Schicksal Gilad Schalits trösten. Wie
heißt es doch im Talmud? „Wer eine einzige Seele rettet, rettet die
ganze Welt.“
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