Westdeutsche Zeitung: Hannelore Kraft steckt im Image-Dilemma = von Vera Zischke

Es muss ein Fest für die Oppositionsparteien im
nordrhein-westfälischen Landtag sein: Eine Pflichtverletzung wollten
sie die Ministerpräsidentin nachweisen. Am Ende haben sie Hannelore
Kraft ihrer Ansicht nach beim Flunkern erwischt – und damit an einer
ganz empfindlichen Stelle. Hand aufs Herz: Natürlich verzeiht man
einer schwer beschäftigten Politikerin, wenn sie einmal im Jahr nicht
rund um die Uhr erreichbar ist. Man mag ihr auch verzeihen, dass sie
eben diesen Urlaub nicht abgebrochen hat, um nach Münster zu fahren.
Dass sie mifühlen kann, hat sie nach der Love-Parade-Katastrophe
bewiesen, als sie sofort zur Stelle war und die Nähe zu
Hinterbliebenen gesucht hat. Zudem gibt es durchaus unterschiedliche
Ansichten darüber, wie sinnvoll medienwirksame Politiker-Besuche an
Unglücksorten sind. Eine Debatte darüber hätte Hannelore Kraft wohl
kaum geschadet. Schädlich ist für sie dagegen, dass sie offenbar
nicht den Mut hatte, zu ihrer Entscheidung zu stehen. Sie hat ihren
Urlaub nicht abgebrochen, weil sie es nicht für nötig hielt. Punkt.
Über diese Haltung hätte man diskutieren können. Stattdessen hat sie
einen Grund vorgeschoben, der sie unangreifbar machen sollte („Ich
wusste von nichts“), sich aber als nicht haltbar erwies. Damit hat
sie zwar das Land nicht in Schwierigkeiten versetzt und es auch nicht
führungslos zurückgelassen, wie die Opposition zunächst behauptete.
Aber sie hat dadurch den Eindruck vermittelt, nicht so aufrichtig zu
sein, wie sie von vielen wahrgenommen wird. Sie hat an Ansehen
verloren – und das ist bei gewählten Politikern eine harte Währung.
Auch aus einem anderen Grund ist die „causa Kraft“ eben keine
Lappalie. Sie ist ein Lehrstück, weil sie uns zeigt, wie unser
Politikverständnis funktioniert. Oder vielmehr, welche Vorstellung
sich Politiker davon machen, wie die Bevölkerung sie haben will –
nämlich fehlerlos, allwissend und immer im Einsatz. Diese
unmenschlichen Ansprüche sind kaum zu erfüllen und führen zu genau
solch einem Dilemma, wie wir es jetzt erleben. Genau aus diesem Grund
ist es wichtig, die jetzige Debatte möglichst sachlich und ohne Häme
zu führen.

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