Spielt ein Organist schlechter Orgel, weil er
sich von seiner Frau getrennt hat und nun mit einer anderen
zusammenlebt? Sind die Operationen eines Chefarztes ein Risiko für
seine Patienten, wenn er ein zweites Mal heiratet? Kein Mensch, der
seine Sinne beisammen hat, würde die Fragen bejahen. Und doch kann
der Ehebruch ein Kündigungsgrund sein – wenn der Arbeitgeber die
Kirche oder eine von ihr getragene Organisation ist. Geht es ums
Arbeitsrecht, so haben die Kirchen einen Sonderstatus, der ihnen das
tiefe Eindringen in die Privatsphäre ihrer Angestellten erlaubt:
Scheidung, „wilde Ehe“ – wer diesen Weg geht, fliegt raus. Die
Arbeitsgerichte akzeptieren in der Regel eben diese Maßstäbe der
Kirche. Doch sich dabei blind zu stellen für die Perspektive des
Arbeitnehmers – das dürfen sie seit dem gestrigen Urteil des
Straßburger Menschenrechtsgerichtshofes nicht mehr. Natürlich ist es
nachvollziehbar, dass eine Glaubensgemeinschaft, für die Scheidung
und Wiederverheiratung ein Tabu sind, ihren Mitarbeitern ein solches
Verhalten nicht erlaubt. Das geht in Ordnung, wenn ein Mitarbeiter in
exponierter Position die Botschaft der Kirche nach außen trägt. Aber
dass das nicht für jedes Rädchen in der Arbeitsorganisation gelten
kann, sollte selbstverständlich sein. Ist es aber nicht. Bei den
immer wieder ausgesprochenen Kündigungen spielen Toleranz,
Nächstenliebe und ähnliche sonst von Kirchenvertretern beschworene
Werte keine Rolle. Wer einen Arbeitsvertrag mit entsprechender
Loyalitätspflicht abgeschlossen hat, der solle – so die unnachgiebige
Order – im Falle einer Trennung dann eben ein enthaltsames Leben
führen. Oder er verliert seinen Job. „Jedermann hat Anspruch auf
Achtung seines Privat- und Familienlebens“ – an diesen Artikel 8 der
Menschenrechtskonvention hat das Straßburger Gericht nun erinnert.
Arbeitsgerichte, so der Appell, sollen sich nicht pauschal hinter dem
Argument verstecken, der Staat dürfe sich nicht in die
Angelegenheiten der Kirche einmischen. Übrigens gab es auch vorher
schon Arbeitsrichter, die in diesem Sinne urteilten. Der erwähnte
Chefarzt hat seine Kündigung vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf
erfolgreich angefochten. Er kann weiter Gutes tun am Patienten.
Darauf sollte es ankommen – auch der Kirche.
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