Westdeutsche Zeitung: Rückschlag für eine ganze Generation in der Ukraine – Ohne Rechtsstaat kein Abkommen Ein Kommentar von Werner Kolhoff

Die Türkei Mitglied der EU, die Ukraine eng mit
ihr assoziiert? Zwei Seelen wohnen bei dieser Frage in der Brust der
Deutschen, ja, fast aller Europäer. Denn das sind Länder, die wie die
Türkei entweder kulturell und religiös zu fremdartig oder wie die
Ukraine ökonomisch und politisch zu fern von uns sind. Einerseits.
Andererseits darf die Türkei nicht dem Islamismus anheimfallen und
die Ukraine nicht der Vorherrschaft eines Russlands, das seine
Großmachtinteressen immer skrupelloser durchsetzt. Und die Jugend
dieser Länder möchte ein freies, modernes Leben.

Noch gibt es ein Fenster der Gelegenheit. Doch, wie der Fall
Ukraine zeigt, es ist nicht lange offen. Denn die Gegenkräfte sind
stark. In Kiew haben nach der orangenen Revolution die alten Mächte
wieder die Oberhand. Russland droht und drückt. An beidem ist die so
nahe Assoziierung mit der EU vorerst gescheitert. Es ist nicht die
Schuld der EU gewesen. Sie konnte gar nicht anders, als auf eine
Beendigung der selektiven Strafverfolgung zu bestehen, wie sie in der
Haftstrafe für Julia Timoschenko zum Ausdruck kommt. Ohne Rechtsstaat
keine Assoziierung.

Doch der Fall zeigt, wie schnell Chancen vertan werden. In Kiew
sind die Hoffnungen einer ganzen Generation gestorben. Für den Umgang
mit der Türkei muss das eine Lehre sein. Im Entwurf des
Koalitionsvertrages von Union und SPD wird jedoch offen gelassen, ob
man die Türkei in der EU will. Dabei tobt auch in Ankara ein
Machtkampf. Auf der einen Seite die Politik von Premier Erdogan,
zurück zum Islam und zum Nationalismus, auf der anderen Seite die bei
den Protesten im Gezi-Park in Istanbul deutlich gewordenen Hoffnungen
der Jugend und der modernen bürgerlichen Schichten. Was, wenn auch
von dort bald die Nachricht kommt, dass man Europa gar nicht mehr
will?

Europa und Deutschland müssen sich ihrer strategischen Interessen
und ihrer Werteorientierung besinnen. Das Ziel muss es sein, aus
allen Völkern des Kontinents – am Ende auch Russland – eine wie auch
immer kooperierende Staatengemeinschaft der Demokratien und des
sozialen Wohlstands zu machen. Das ist die europäische Idee, und
dieses Angebot muss trotz aller Rückschläge stehen.

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