Westdeutsche Zeitung: Snowdens Chance, Merkels Dilemma = Von Wibke Busch

Ströbele wählen, heißt Fischer quälen.“ Mit
diesem legendären Werbeslogan warb der Grünen-Politiker
Hans-Christian Ströbele einst in seinem Berliner Wahlkreis und meinte
den innerparteilichen Konkurrenten Joschka Fischer. Mit seinem
Überraschungscoup in Russland, den er gestern sichtlich genoss, quält
der streitbare Politiker nun vor allem die Bundesregierung von Angela
Merkel (CDU). Die steckt nach dem Aussageangebot von Edward Snowden
in einem tiefen Dilemma.

Denn der 30-jährige Amerikaner ist nicht nur ein wertvoller Zeuge,
um Licht in die NSA-Spähaffäre zu bringen. Er ist auch der
„Staatsfeind Nummer eins“ der USA, die ihn wegen Geheimnisverrats mit
einem internationalen Haftbefehl suchen – und deren Festnahmeersuchen
bereits im deutschen Justizministerium vorliegt.

Schon im Sommer hatte Snowden 20 Länder, darunter die
Bundesrepublik, um politisches Asyl gebeten. Berlin lehnte damals,
ab, weil die rechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben seien. Vorgang
geklärt, Akte geschlossen – so hoffte man wohl damals in Berlin. Nun
aber sieht der Enthüller ganz offensichtlich eine neue Chance,
Russland verlassen zu können und einen dauerhaft sicheren
Aufenthaltsort zu finden. Nicht anders sind die Aussagen von Ströbele
zu werten. Denn auch in Putins Reich läuft die Uhr für Snowden ab.
Das Asyl ist auf ein Jahr befristet.

Die rechtliche Situation ist derzeit unklar: Können deutsche
Politiker oder Ermittler Snowden in Russland vernehmen? Kann ihm
Deutschland sicheres Geleit nur für eine Aussage auf deutschem Boden
geben? Und was passiert, sollte Snowden tatsächlich den Fuß auf
deutschen Boden setzen? Erschwert wird die Situation durch die
politische Dimension: Denn die USA sind – ungeachtet der derzeitigen
diplomatischen Verstimmungen – ein wichtiger und enger Partner
Deutschlands.

Nimmt die deutsche Regierung ihre Äußerungen der vergangenen Tage
ernst, die Affäre aufklären zu wollen, muss sie dennoch einen Weg
finden, um eine Aussage des Enthüllers zu ermöglichen. Und das, ohne
selbst gegen das Völkerrecht zu verstoßen oder Snowden in Gefahr zu
bringen. Eine wahrlich heikle Mission.

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