Eigentlich hätte Ex-Präsident Wulff das Land
beim ergreifenden Gedenken an die Neonazi-Opfer repräsentieren
sollen. Jetzt musste die Kanzlerin einspringen. Sie tat das im
Prinzip gut. Angela Merkel, die als sachlich und spröde gilt, hatte
vor der Veranstaltung mit den Verwandten der Opfer gesprochen.
Vielleicht trug dieses Erlebnis dazu bei, dass sie echte
Betroffenheit zeigte. Eine Entschuldigung bei den Angehörigen wegen
falscher Verdächtigungen durch die Ermittler und das Eingeständnis,
die Neonazi-Taten seien eine Schande für Deutschland, gehen niemandem
leicht über die Lippen. Auch Angela Merkel tut sich da
verständlicherweise schwer. Es ist gut und richtig, dass die Feier
stattfand. Es ist gut und richtig, dass viele Menschen gestern eine
Schweigeminute einlegten. Es ist vor allem gut und richtig, dass beim
Festakt die Opfer beziehungsweise deren Familienmitglieder im
Mittelpunkt standen. Einige Hinterbliebene kamen selbst zu Wort, zu
jedem Opfer fand die Kanzlerin persönliche Worte. Bei aller
Anerkennung für Merkels Auftreten und die Feierstunde gibt es auch
kritische Überlegungen: So haben sich viele gewünscht, dass sich
Merkel intensiver mit Fehlern der Ermittler beschäftigt hätte. Denn
der Vorwurf, der Verfassungsschutz habe bei Rechts-Terroristen schon
mal ein Auge zugedrückt, bewegt weiterhin die Öffentlichkeit und ist
nicht überzeugend widerlegt. Andererseits: Im Nachhinein ist es
natürlich sehr bedrückend, dass lange Zeit unschuldige Angehörige der
Opfer unter Verdacht standen. Doch man darf den Behörden nicht
verübeln, wenn sie bei der Aufklärung von Verbrechen in alle
Richtungen ermitteln. Das verlangt das Gesetz von ihnen. Sie sollten
es nur mit Taktgefühl tun. Ein ganz schwieriger Zielkonflikt, der
kaum lösbar erscheint. Die entscheidende Frage ist, welche Wirkung
der gestrige Tag hat. Darüber, wie deutlich die Signale Merkels bei
Türkisch- und Griechischstämmigen ankamen, gibt es unterschiedliche
Einschätzungen. Die gesamte Bevölkerung hat hoffentlich vor allem den
Appell Merkels verstanden, dass sich Intoleranz und Rassismus nicht
erst bei Gewalttaten zeigen. Wachsamkeit bei vermeintlich harmlosen
kleinen Grenzüberschreitungen im Alltag muss ein Anliegen aller sein.
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