Der Westen vergisst schnell – die Taliban
vergessen nicht. Wieder einmal möchte die Nato nach einem Anschlag
der Islamisten am liebsten zur Tagesordnung übergehen. Auf ihr steht
nur ein Punkt: die Taliban militärisch klein halten, um den geplanten
Abzug der westlichen Truppen vom Hindukusch nicht zu gefährden.
Afghanistans Präsident Hamid Karsai weiß, dass das feige
Selbstmordattentat auf seinen unmittelbaren Vorgänger nicht irgendein
neues Verbrechen der Taliban gewesen ist. Burhanuddin Rabbani, ein
gläubiger Moslem mit Philosophie-Studium, hat den Taliban noch
Widerstand geleistet, als sie den Rest des Landes schon lange unter
ihre Knute gebracht hatten. Und als sich vor zehn Jahren die Lage
nach der Zerstörung des New Yorker World Trade Centers endlich
drehte, war es wieder Rabbani, der an der Spitze der Mudschaheddin
nach Kabul zurückkehrte und die Hauptstadt befreite.
Dass Karsai ausgerechnet ihn mit der Aufgabe betraute,
Friedensgespräche mit den Taliban zu führen, war ein großes Risiko.
Rabbani hat dafür mit dem Leben bezahlt. Seine Ermordung reiht sich
ein in eine erschreckend hohe Zahl an Attentaten, denen in diesem
Jahr schon erschreckend viele Vertreter der Regierung in Afghanistan
zum Opfer gefallen sind. Die bekanntesten waren Ahmad Wali Karsai,
der Bruder des Präsidenten, und Daud Daud, der Polizeichef von
Nordafghanistan. Bei seiner Ermordung wurde Markus Kneip als erster
Nato-General am Hindukusch verletzt. Weiter starben in den
vergangenen Monaten der Bürgermeister von Kandahar sowie ein enger
Berater Karsais. Von allen war bekannt, dass sie gefährdet sind.
Entsprechend groß war der Sicherheitsaufwand, mit dem sie geschützt
wurden. Es hat nichts genutzt.
In Afghanistan sind so viele Soldaten und sogar Angehörige ziviler
westlicher Hilfsorganisationen gestorben, dass man fast vergisst,
dass die meisten Opfer Afghanen sind. Die Hoffnung, das Land Stadt
für Stadt und Region für Region alltagssicher zu machen, hat nicht
nur durch Rabbanis Ermordung einen Rückschlag erlitten. Erst in der
vergangenen Woche nahmen die Taliban im Diplomatenviertel Kabuls
sogar das Isaf-Hauptquartier und die US-Botschaft 20 Stunden unter
Beschuss.
An den Nato-Abzugsplänen ändert all dies wohl nichts. Die
Attentate werden sogar als Zeichen gewertet, dass die Taliban
inzwischen für eine offene Feldschlacht zu schwach seien – als ob sie
jemals den Kampf auf offenem Feld gesucht hätten! Stattdessen setzen
sie seit langem auf eine Irakisierung Afghanistans – also darauf,
dass tägliche Attentate den Westen mürbe machen.
Und nun? Karsais Friedensgespräche liegen brach, bevor sie
begonnen haben. Wenn überhaupt, können sie nur im Ausland geführt
werden. Aber wo? Doch es gibt nur die Alternativen: Gespräche – oder
Kampf bis zum Sieg. Wer vorher geht und Afghanistan den Taliban
überlässt, setzt auf das kurze Gedächtnis des Westens. Das ist von
allen Strategien die unmenschlichste.
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