Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Gauck

Wo die Kanzlerin still zürnt, da spricht der
Bundespräsident. Joachim Gauck reagierte prompt auf den Verdacht, der
NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags könnte durch die
US-Geheimdienste ausspioniert worden sein. Gauck sagte scharf: »Dann
ist ja nun wirklich zu sagen: Jetzt reicht–s auch einmal.«

Der Bundespräsident als Klartextredner. Im konkreten Fall dürfte
das den meisten Deutschen aus der Seele sprechen. Denn was immer auch
im Zuge der neuerlichen Affäre herauskommt, klar ist: Auf die
vermeintlich so unverbrüchliche Freundschaft zu den Deutschen
scheinen die USA wohl doch nicht allzu viel zu geben. Allen
Beteuerungen nach dem NSA-Abhörskandal zum Trotz. So jedenfalls lässt
sich Vertrauen nicht zurückgewinnen.

Gauck weiß das, und er kennt das große Unbehagen der Deutschen ob
dieses Umgangs unter »Freunden«. Mit seinem Vorpreschen zwingt er nun
die Politik in die Debatte. Und genau das ist es, was Angela Merkel
stets an einem Bundespräsidenten Joachim Gauck gefürchtet hat. Nicht,
dass die Kanzlerin über das aktuelle Geschehen weniger erbost wäre.
Doch ebenso groß ist ihre Sorge, dass eine entsprechend drastische
Reaktion die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA eher weiter
belasten denn verbessern könnte. Als Regierungschefin muss Merkel
vielleicht so denken. Doch setzen sie Gaucks Äußerungen zusätzlich
unter Druck. Und das nicht zum ersten Mal.

Gauck bleibt auch als Staatsoberhaupt das, was er immer war: ein
Freigeist, ein Querdenker und Unruhestifter. Ein Präsident, der das
Amt politisiert – obwohl er nicht aus der Politik kommt. Oder
vielleicht gerade deswegen.

Doch Gauck nötigt nicht nur der Politik Debatten auf, er verlangt
sie auch seinen Landsleuten ab. Nach zwei Jahren im Bellevue und als
74-Jähriger in einem Alter, das nicht unbedingt eine zweite Amtszeit
verlangt, erlaubt er sich, unbequeme Fragen zu stellen. Eine lautet,
ob wir nicht mehr für Einwanderer und Flüchtlinge tun müssen. Die
unbequemste und bedeutendste Frage aber dürfte die nach der Rolle
Deutschlands in der Welt sein. Gauck fordert eine Diskussion darüber,
ob das Land nicht außenpolitisch und militärisch mehr Verantwortung
übernehmen muss. Seine Antwort ist offenkundig: Deutschland kann das
und darf das – trotz seiner historischen Schuld.

Gern fügt er in diesem Zusammenhang und mit Verweis auf seine
zahlreichen Reisen hinzu, dass das im Ausland längst so gesehen
werde. Dabei nimmt Gauck in Kauf, dass seine Meinung gegen die klare
Mehrheitsmeinung der Deutschen steht. Was nur beweist, dass
Populismus seine Sache nicht ist.

Joachim Gauck ist kein Präsident, dem der Titel genügt. Er will
das Amt prägen, dafür ist sein Ehrgeiz groß genug und seine Eitelkeit
ist es allemal. So eckt er an – mal in der Politik, mal beim Volk.
Das mag man Selbstverliebtheit nennen, der Debatte in dieser Republik
aber tut es gut.

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