Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Griechenland

Was ist denn das? Da bilden Linksradikale und
rechte Populisten in Athen eine Koalition, um sich von den Auflagen
der Euro-Staatengemeinschaft loszusagen und Griechenland auf bequeme
Weise zu entschulden. Doch dieselben Anleger, die vor knapp fünf
Jahren noch panisch reagierten, geben sich 2015 gelassen. Selbst die
Zinsen für griechische Staatsanleihen steigen aktuell gerade mal um
0,41 Prozentpunkte. Noch cooler reagieren die Aktienmärkte: Unbeirrt
vom griechischen Wahlergebnis setzen sie einfach ihren Höhenflug
fort.

Erstaunlich ruhig verhalten sich auch jene Europapolitiker, die zu
Anfang des Jahrzehnts das Ende der Währungsgemeinschaft und sogar der
politischen Union voraussagten, falls Griechenland ausfalle. Jetzt
ist keine Rede mehr vom drohenden Dominoeffekt. Inzwischen wurde ein
Netz gestrickt, das Portugal, Spanien, Italien und Irland kaum
vorschnell aufgeben werden. Da müsste der strahlende Sieger der
Griechenland-Wahl, Alexis Tsipras, schon herausragende
Erleichterungen aushandeln.

Die Chancen dafür stehen nicht sehr gut. Eine Drohung mit dem
Ausstieg aus dem Euro wird in Brüssel niemanden mehr sonderlich
beeindrucken. Negative Folgen hätte er für Griechenland. Importe und
Schulden sind auch bei Wiedereinführung der Drachme in harten
Währungen wie dem Euro oder Dollar zu bezahlen. So großartig kann
sich der Tourismus gar nicht besser entwickeln, dass er dies
ausgleichen könnte.

Tsipras weiß das. Er hat gegen Ende des Wahlkampfes schon deutlich
zurückgerudert. Hauptsächlich spricht er noch von einem
Schuldenschnitt – dem zweiten nach 2012. Dieser aber würde
Griechenland auf Dauer von den Geldquellen abschneiden, die das Land
dringend für den Aufbau braucht. Beschlossen werden könnte er ohnehin
nur von den Politikern: Internationalem Währungsfonds und
Europäischer Zentralbank sind schon rechtlich die Hände gebunden. Die
Neigung, Tsipras zu gewähren, was man dem Vorgänger Antonis Samaras
verweigerte, ist wohl gering. Zudem stehen Europas Politiker nach dem
Aufkommen der Alternative für Deutschland und anderer
rechtspopulistischer Parteien unter stärkerem Rechtfertigungsdruck.
Es bleiben natürlich die objektiven Probleme Griechenlands – neben
den Staatsschulden die hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Einkommen und
Renten, das geringe Wirtschaftswachstum. In der Antike war es den
Göttern des Olymp egal, wie sehr die Irdischen leiden. Doch die
Politiker in Brüssel wissen, dass ein Armenhaus im Südosten der EU
Sprengstoff für ganz Europa wäre. Deshalb werden sie von sich aus die
Tür nicht ganz zuschlagen. Ein bisschen Verhandlungsspielraum gibt es
immerhin. So könnten die Zinsen an die Wirtschaftsleistung gekoppelt
und Tilgungen gestreckt werden. Es ist im Umgang mit Staaten nicht
anders als im privaten Sektor: Die Gläubiger tragen schon im eigenen
Interesse auch Verantwortung, dass ihre Kunden nicht vor die Wand
fahren.

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Andreas Kolesch
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