Der Prozess gegen Thomas Middelhoff zeigt mehr
als deutlich: Wir leben in einer Neidgesellschaft. Zum Teil mit Häme
wird in der Öffentlichkeit diskutiert, ob drei Jahre Haft eine
angemessene Strafe dafür sind, dass der ehemalige Arcandor-Chef auf
Kosten seines Arbeitgebers Ausgaben in Höhe von 500 000 Euro getätigt
hat, die nichts mit Arcandor zu tun hatten. Ist das Urteil zu hart?
Im Gegensatz zu Uli Hoeneß, der den Staat um Steuern in zweistelliger
Millionenhöhe betrügen wollte, hat Thomas Middelhoff – aus Sicht des
Gerichts – seinem Arbeitgeber monetären Schaden zugefügt. Als
Vorstandsvorsitzender war der Top-Manager Angestellter von Arcandor.
Es ist zumindest bemerkenswert, dass sich die Justiz so weitgehend in
einen Vorgang einmischt, der Aufgabe des Aufsichtsrates gewesen wäre.
Wenn dieses Spitzengremium an der Geschäftsführung seines Vorstands
etwas zu bemängeln gehabt hätte, wäre es sicher aktiv geworden.
Dreieinhalb Jahre Haft für Uli Hoeneß wegen Betrugs am Steuerstaat,
drei Jahre Haft für Thomas Middelhoff wegen Veruntreuung von Geld
seines Arbeitgebers: Zwei Fälle, die verglichen werden, weil sie sich
rein oberflächlich ähneln – inklusive Urteil. Und wer vergleicht,
kommt zu dem Schluss: Entweder ist die Strafe gegen den
Ex-Präsidenten des FC Bayern München zu gering ausgefallen oder die
gegen den früheren Bertelsmann-Boss zu hoch. Der tiefe Fall eines
Top-Managers – gewissermaßen aus dem Privatjet in den Knast – scheint
ein Gefühl zu befriedigen. Wenn ein finanzieller Überflieger aus Gier
abstürzt, ist die sogenannte soziale Gerechtigkeit für den Moment
wiederhergestellt. Deswegen kann man sich des Eindrucks nicht
erwehren, dass Verhandlungen wie die gegen Wulff, Hoeneß und
Middelhoff fast den Charakter von Schauprozessen haben. Was ebenfalls
mitschwingt: Der Staat bestraft Finanzdelikte härter als Gewalttaten.
Ist dem Staat Geld wichtiger als die körperliche Unversehrtheit
seiner Bürger? Auf diese Frage mögen Juristen eine akademische
Antwort finden. Jedenfalls wundert man sich immer häufiger über
Diskrepanzen in der Rechtsprechung. Nachdem der 20-jährige Jonny K.
im Oktober 2012 am Berliner Alexanderplatz von sechs Schlägern
totgetreten worden war, blieben fünf der Täter eineinhalb Jahre auf
freiem Fuß – bis die Urteile endlich rechtskräftig waren. Wenn der
Staat sein Gewaltmonopol zum Schutz der Bürger im öffentlichen Raum
nicht einsetzt, darf er sich nicht wundern, wenn sich Bürgerwehren
bilden. Ohne Sicherheit im öffentlichen Raum gibt es keine freie
Gesellschaft. Der Staat muss im Dienst der Bürger seine Kernaufgaben
erfüllen – und sollte darauf achten, dass die Justiz weniger Prozesse
inszeniert.
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Westfalen-Blatt
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Andreas Kolesch
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