Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Ministerpräsident Ramelow

Ein bisschen zittern musste Bodo Ramelow, aber
im zweiten Durchgang stand die Mehrheit. Erstmals überhaupt stellt
die Linkspartei einen Ministerpräsidenten. Und folgerichtig erreicht
der Kampf um die Deutungshoheit dieser gewiss historischen Wahl einen
neuen Höhepunkt. Von Demagogisierung bis Bagatellisierung ist weiter
alles dabei.

Die »Wiedergeburt der DDR« fürchten die einen, den entscheidenden
Wink in Richtung Rot-Rot-Grün für 2017 im Bund erhoffen die anderen.
Beides ist maßlos übertrieben, belegt aber zu- verlässig: Eine
Normalisierung der Lage ist vorerst nicht zu erwarten. Und das ist
gut, denn allen Parteien und allen politischen Lagern muss dieser 5.
Dezember zu denken geben.

Zuerst gilt das für die Linkspartei. Bodo Ramelow selbst weiß nur
zu gut, dass seine Wahl und eine von der Linken angeführte
Landesregierung eine Provokation für viele Menschen darstellen – und
zwar nicht nur im Osten der Republik. In der Stunde seines größten
politischen Triumphes fiel es dem 58-Jährigen leicht, sich demütig zu
geben. Wie es im Alltag um die Souveränität des Ministerpräsidenten
bestellt ist, muss sich erst noch zeigen. Dabei wartet eine wahre
Herkulesaufgabe. Die Linke hat gestern nicht das Ziel erreicht,
sondern steht erst ganz am Anfang. Jetzt geht die Arbeit los, und die
rot-rot-grüne Mehrheit könnte knapper nicht sein. Stabiles
Regierungshandeln aber lässt sich nicht per Koalitionsvertrag regeln.

Auch ahnt Ramelow, wie weit der Weg für seine Partei im einzig
richtigen Umgang mit der DDR-Geschichte noch ist. Seine Worte der
Entschuldigung an den persönlichen Freund Andreas Möller wirkten
nicht aufgesetzt, aber wie haben sie auf die Linke und ihre treuesten
Anhänger gewirkt?

Ramelow persönlich mag der Geschichtsklitterung wie auch des
linksradikalen Sektierertums unverdächtig sein. Seine Linkspartei ist
es nicht. Jüngst hat der in der Öffentlichkeit leider viel zu wenig
beachtete und von den eigenen Leuten erst möglich gemachte Angriff
auf Fraktionschef Gregor Gysi in den Räumen des Bundestags davon ein
katastrophales Zeugnis gegeben.

SPD und Grüne dürften gewarnt sein. Auch daher rührt ihre Neigung,
die Signalwirkung dieser rot-rot-grünen Koalition für künftige
Regierungsbildungen bewusst kleinzureden. Ausgeschlossen aber ist
nichts mehr – so hat es die SPD ja nach der Bundestagswahl verfügt.
Und der eigentliche Wahlsieger CDU? Steht plötzlich als der große
Verlierer da und offenbart kratertiefe Gräben in der eigenen
Führungsriege. Kein Zweifel: Diese Thüringer Christdemokraten sind
die Oppositionsarbeit nicht nur nicht gewohnt, sie müssen sich von
Grund auf neu sortieren.

Für die Bundes-CDU aber ist wieder eine Landesregierung dahin, was
die Stimmung auf dem am Montag beginnenden Parteitag kaum heben
dürfte. Es wird immer klarer: Wer sich die Union einmal kurz ohne
Angela Merkel vorstellt, sieht fast nichts – auch wenn er die Augen
offen hält.

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Andreas Kolesch
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