Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Steinmeiers Wahl zum Bundespräsidenten

Ein Mutmacher will er sein, der neue
Bundespräsident. Und der Tag seiner Wahl kann Mut machen. Dieser 12.
Februar 2017 war ein Hochamt unserer Demokratie. Die Würde des Amtes
ist (zum Glück wieder) groß. Die Bürde ist es jedoch nicht minder.
Frank-Walter Steinmeier weiß das. Er hat gewiss das Zeug dazu, ein
gutes Staatsoberhaupt zu werden.

Ein Wahlgang genügte, die Mehrheit war riesig. Trotzdem setzt das
Ergebnis ein Ausrufezeichen: Sowohl Christoph Butterwegge als
Kandidat der Linkspartei wie Albrecht Glaser für die AfD und
Alexander Hold (Freie Wähler) haben deutlich mehr Stimmen bekommen
als ihre Lager jeweils zählten. Auch daran sieht man: Das Land ist in
Bewegung geraten.

Steinmeier hat Recht, wenn er sagt: »Wir leben in stürmischen
Zeiten.« Er kennt die Anfechtungen, denen die Demokratie ausgesetzt
ist – doch er will sich nicht davor fürchten. Im Gegenteil: Er will
Optimismus verbreiten, Selbstbewusstsein ausstrahlen, den Stolz der
Deutschen auf das Erreichte in Kraft für das Unerledigte verwandeln:
»Diese Zeit ist unsere, wir tragen die Verantwortung.«

Verantwortung hat der 61-Jährige selbst nie gescheut. Seine
politische Erfahrung in Berlin wie auf der internationalen Bühne ist
über jeden Zweifel erhaben. Sein Ansehen in der Welt ist es auch. Die
Fähigkeit zum Dialog noch in aussichtslosester Lage ist ihm ebenso zu
eigen wie es Realitätssinn, Bodenständigkeit und Vernunft sind. Ein
Ostwestfale ist dieser Frank-Walter Steinmeier eben und ein Lipper
noch dazu.

Repräsentieren wird er unser Land ganz gewiss hervorragend.
Dennoch wird sich Steinmeier im Amt des Bundespräsidenten neu
erfinden müssen. Er wird sich mehr als jemals zuvor den Menschen
jenseits der Politik zuwenden müssen, wenn er – wie versprochen –
seinen Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft leisten will. Wenn
er auch jene überzeugen will, die ihn nicht gewählt haben, und die,
die ihm kritisch gegenüberstehen. Dafür hätte er sicher liebend gern
auf die Aktion der Berliner SPD verzichtet, die es sich nicht
verkneifen konnte, dem neuen Bundespräsidenten per Twitter schon
einen Tag vor der Wahl zu gratulieren und dabei auch noch sein
SPD-Parteibuch in den Vordergrund zu rücken. Das war peinlich!

Dass allerdings die SPD auf den Beginn einer Zeitenwende hofft,
wie sie einst die Wahl Gustav Heinemanns zum Bundespräsidenten
darstellte, ist mehr als legitim. Martin Schulz und Sigmar Gabriel
freuten sich trotzdem vergleichsweise still. Das war professionell!
Die Erwartungshaltung gegenüber Steinmeier ist groß. Die Fußstapfen,
in die der Politikprofi tritt, sind es auch. Sein Vorgänger Joachim
Gauck erfuhr gestern noch einmal und vollkommen zu Recht eine
außerordentliche Würdigung.

In seiner nur neunminütigen Dankesrede versuchte Steinmeier erst
gar nicht, es mit Gaucks Redetalent aufzunehmen. Nach der
Amtsübernahme aber wird er auch daran gemessen werden. Und Anlaufzeit
dürfte ihm dabei kaum gewährt werden – zu groß sind die Krisen in
Europa und der Welt, zu unberechenbar ist der neue US-Präsident, zu
wichtig sind die Weichenstellungen in Deutschland im Wahljahr 2017.

Und dann war da ja auch noch Bundestagspräsident Norbert Lammert,
der diesem Tag eine besondere Note gab. Wer seine Rede aufmerksam
verfolgte, musste sich unweigerlich fragen, ob da womöglich ein noch
besserer neuer Bundespräsident sprach. Was vor allem so manche
Wahlfrau und manchen Wahlmann im Lager der CDU/CSU beschäftigt haben
dürfte. Lammert auf der einen und Steinmeier auf anderen Seite – das
wäre sicher eine noch bessere, das wäre dieses Mal die perfekte Wahl
gewesen.

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Andreas Kolesch
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