Ganz so schnell funktioniert der Wandel
Dominique Strauss-Kahns vom Täter zum Opfer nun doch nicht. Gerade
schien für ihn der Vergewaltigungsvorwurf in New York entkräftet zu
werden, da droht ihm neues Ungemach in seiner Heimat. So erklärt
jetzt die Schriftstellerin Tristane Banon, Strauss-Kahn habe sich
2002 »wie ein brünftiger Schimpanse« auf sie geworfen. Am Montag
kündigte sie eine Anzeige gegen den ehemaligen Top-Banker wegen
sexueller Belästigung an. Die Fakten dazu sind in Frankreich
hinreichend bekannt. Wollen die Franzosen ihn statt Nikolas Sarkozy
im nächsten Jahr dennoch zu ihrem Präsidenten wählen? Denn viele
halten den ruppigen Umgang der US-Justiz und Presse mit dem
ehemaligen Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) für skandalös
und fordern die Wiederherstellung seiner Ehre. Sollte er unschuldig
sein, dürfte eine offensichtlich unglaubwürdige Zeugin seiner
politischen Karriere nicht schaden. Gerechtigkeit für Strauss-Kahn:
So schallt es vielstimmig aus Frankreich. Doch zugleich entstehen
Zweifel, denn nur die Hälfte des französischen Wahlvolkes würde ein
politisches Comeback des sozialistischen Hoffnungsträgers begrüßen.
1999 wurde Strauss-Kahn wegen eines Korruptionsverdachts angeklagt;
2008 kam er beim IWF ins Gerede, weil er der Volkswirtin Pirosky Nagy
offensichtlich Vorteile verschafft hatte. Pikant: Nagy war angeblich
seine Geliebte. Sie ließ sich abfinden und quittierte den Dienst.
Strauss-Kahns Parteifreunde rechnen nicht damit, dass der einst
verheißungsvolle Präsidentschaftskandidat ein politisches Comeback
plant, und das ist gut so: Frankreich hat einen klugen, aber auch
einen integeren Präsidenten verdient. Schmuddelaffären und Skandale
mit Zimmermädchen, Callgirls und dienstabhängigen Geliebten sind
unwürdig. Sie schaden dem Ruf Frankreichs, auch wenn Franzosen
angeblich mehr Verständnis für eine lockere Sexualmoral haben als
andere Völker. Strauss-Kahn wäre zu wünschen, diese Affäre so heil
wie möglich zu überstehen und nicht den Anspruch zu erheben, im
Anschluss Frankreich als Staatspräsident dienen zu wollen. Viele
sozialistische Politiker meinen obendrein, der luxuriöse Lebensstil
des Dominique Strauss-Kahn passe nicht zum Image einer Partei, die
die Interessen von Arbeitern, kleinen Angestellten, Arbeitslosen und
Sozialschwachen vertritt. Denn die Chancen der Sozialisten stehen
gut, und die Parti socialiste (PS) hat aussichtsreiche Kandidaten:
Francois Hollande, Ségolène Royale oder Martine Aubry können
Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy nächstes Jahr durchaus
schlagen. Diese Politiker könnten sich den politisch relevanten
Themen widmen, ohne dabei von lästigen Skandalen behelligt zu werden.
»Gefährliche Liebschaften« gehören zur französischen Literatur und
Kultur, zur hohen Staatskunst jedoch nicht.
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Andreas Kolesch
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