Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Tepco

Wie eine Monstranz hat die japanische Regierung
einen Leitsatz vor sich hergetragen: »Wir vertrauen Tepco.« Jetzt ist
ihr für japanische Verhältnisse der Kragen geplatzt. Die Regierung
kritisiert Tepco öffentlich. Das liegt auch daran, dass Tepco Fehler
eingeräumt hat. Erst waren es abgekupferte Baupläne, dann
Versäumnisse bei der Wartung, und jüngst gab das Unternehmen zu,
seine Arbeiter nicht ausreichend vor dem radioaktiven Wasser
geschützt zu haben. Ein verhängnisvoller Fehler. Dennoch stand die
Regierung lange hinter dem Konzern. Ein weiterer Fehler! Das hat
seinen Grund. In Japan hat die Nähe der Politik zur Industrie
Tradition, hat sie das Land doch in den 80er Jahren groß gemacht.
Korruption war das Ergebnis. Angesichts des Atomdramas werden die
Tücken eines Systems sichtbar, das aus dem Staatsdienst
ausscheidenden Menschen den Anspruch auf einen Posten in der
Industrie garantiert. Das nennen die Japaner »Abstieg in den Himmel«.
Durch diese Konstellation konnte Tepco die Informationspolitik der
Regierung lenken. Doch wer in Deutschland den moralischen
Zeigefinger erhebt, sollte nicht vergessen, dass hier Verquickungen
von Interessen der Energiekonzerne und der Politik nicht unbekannt
sind. Meldungen halten sich wacker, dass die Regierung Helmut Kohls
in Gorleben Einfluss auf Gutachten genommen hat. Auch in
Personalfragen gibt es Beispiele. Hat doch Bundesumweltminister
Norbert Röttgen (CDU) mit Gerald Hennenhöfer einen ehemaligen
Atomlobbyisten berufen – als Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit.
In seinem Lebenslauf stehen der Energiekonzern Viag sowie
Anwaltstätigkeiten für die Betreiberin des Versuchsendlagers Asse II.
Er hat bislang keinen Grund geliefert, ihm mangelnde
Informationspolitik vorzuwerfen. Ein Interessenkonflikt ist aber
nicht zu leugnen. In einem weiteren Fall berichtet ein Ex-Mitarbeiter
des Kraftwerks Grohnde von falschen Protokollen und echten
TÜV-Plaketten. Insgesamt sind die Unterschiede zwischen Deutschland
und Japan sicherlich gravierend. In der Bundesrepublik ist es zum
Glück nicht zu einer Atom-Katastrophe gekommen. Wir diskutieren nicht
über Vertuschung, sondern über einen neuen Atomkurs. Es ist schwer
vorstellbar, dass sich die Bundesregierung bei einem ähnlichen Fall
das Heft des Handelns von den Stromriesen aus der Hand nehmen lassen
würde. Doch sie kann aus den Geschehnissen in Japan lernen: Ohne
schonungslose Offenheit geht es nicht. Politische Schweigekultur hat
keine Zukunft.

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Andreas Kolesch
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