Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Betreuungsgeld

Frauen in Deutschland haben es schwer. Lange
Zeit wurden sie als Rabenmütter beschimpft, wollten sie nach einer
Geburt wieder einer bezahlten Arbeit nachgehen. Heute hat sich die
Perspektive um 180 Grad gedreht. Stellen Frauen den Beruf bewusst
zugunsten der Kindererziehung zurück, laufen sie Gefahr, als
Prämien-Heimchen am Herd geschmäht zu werden. Männer hingegen dürfen,
ja sollen sogar Berufspausen zugunsten der Familie einlegen. Machen
solchermaßen entlastete Mütter Karriere, werden ihre Männer – etwa
beim »Spitzenvater«-Wettbewerb der Gütersloher Großbäckerei
Mestemacher – sogar hoch geehrt. Das verstehe, wer will. In diese
Gemengelage fällt die Studie des Jugendinstituts, die das vor einem
Jahr bundesweit eingeführte Betreuungsgeld als Teufelszeug ausweist.
So jedenfalls lautet die rot-grüne Interpretation, während sich die
CSU darin bestärkt sieht, das Betreuungsgeld gewähre Wahlfreiheit
zwischen Krippe und Kinderzimmer. Beide irren. These eins: Das
Betreuungsgeld schmälert die Bildungschancen von Kindern aus sozial
schwachen und zugewanderten Familien. Tatsächlich gibt jede vierte
Frau mit »Familiensprache nicht-deutsch« (so die Studie) an, sie
würde wegen des Betreuungsgeldes auf einen Krippenplatz verzichten.
Bei den deutschsprachigen sind es nur halb so viele. Doch ein ähnlich
großes Missverhältnis besteht zwischen Müttern mit Mittlerer Reife –
14,2 Prozent würden sich wegen der Prämie gegen die Krippe
entscheiden – und Müttern mit Hochschulabschluss (7,8 Prozent). Muss
man deshalb befürchten, Kinder von Eltern mit Realschulabschluss
seien zu Bildungsverlierern gestempelt? Zudem: Es geht um Kleinkinder
im Alter von einem Jahr aufwärts. Die müssen erst einmal trocken
werden und laufen lernen, bevor ihnen frühkindliche Bildung zuteil
werden kann. Zuwendung und sichere Bindung – das ist es, was Kinder
in dieser Lebensphase am meisten benötigen. Doch was ist nun mit der
These der CSU, das Betreuungsgeld sei Garant für die nötige
Wahlfreiheit? Auch die lässt sich nicht halten. Unterm Strich würde
nur jede achte Familie wegen des Betreuungsgeldes auf einen
Krippenplatz verzichten. Die übrigen entscheiden aus freien Stücken
pro oder kontra Krippe – je höher das Einkommen, desto weniger fällt
die Prämie ins Gewicht. Fazit: Das Betreuungsgeld schadet wenig,
hilft aber auch nicht viel. Besser wäre es, die Kleinkinderbetreuung
massiv zu verbessern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu
stärken – etwa durch ein Anrecht auf sehr viel flexiblere
Teilzeitarbeit. Das aber wäre um ein Vielfaches teurer als jene 1,2
Milliarden Euro, die der Bund 2015 für das Betreuungsgeld eingeplant
hat, und würde massiven Widerstand der Arbeitgeber auslösen. Vorerst
wird sich also nichts ändern. Da mag das politische Geschrei so laut
sein, wie es will.

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