Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum CDU-Parteitag

Ein bisschen war der Bundesparteitag der CDU
gestern so wie ein gutes Fußballspiel. Da führt die Heimmannschaft
klar und deutlich mit 3:0, und am Ende geht die Begegnung knapp mit
3:2 aus. Wie dieses Resultat zustande kommt? Ganz einfach: Merkels
starke Rede war ein (dreifacher) Treffer, ihre Wiederwahl mit »nur«
90,4 Prozent fühlt sich so an, als hätte das Team noch zwei Gegentore
kassiert. Auch wenn das Traumergebnis wie erwartet ausgeblieben ist:
Unter 90 Prozent macht es Angela Merkel auch diesmal nicht. Zwar ließ
ihr Gesichtsausdruck nach Bekanntgabe des Ergebnisses nicht gerade
Begeisterungsstürme erahnen, aber dennoch kann und muss die alte und
neue Bundesvorsitzende der CDU mit diesem Votum ihrer Partei
zufrieden sein. Mehr war eben nicht drin. Angela Merkel hat zu Recht
einen Mini-Dämpfer verpasst bekommen – nicht nur für den Pleiten-,
Pech- und Pannenstart der schwarz-gelben Bundesregierung, sondern
auch für ihren lange Zeit viel zu laschen Führungsstil. Das Ergebnis
von 90,4 Prozent zeigt, dass längst nicht alle Wunden der vergangenen
Monate verheilt sind. Dass die CDU-Chefin ihren Stil geändert hat und
eine starke Führungsfrau sein kann, die in der Lage ist, die
Christdemokraten emotional mitzureißen und zu begeistern, haben die
Mitglieder gestern positiv aufgenommen. Zwar wird auch diese Rede
nicht in die Geschichte eingehen – und das muss sie auch nicht. Aber
dennoch hat die Parteivorsitzende eine leidenschaftliche,
kämpferische und auch inhaltlich starke Rede gehalten. Merkel hat es
geschafft, der Partei aus der Seele zu sprechen. »Wir sind wir, die
Christlich-Demokratische Union. Wir können das.« Solche Worte haben
die Mitglieder lange vermisst. Kluge Argumente, nüchtern vorgetragen,
hin und wieder versteckte Brillanz, aber insgesamt eher kühl als
mitreißend – so war Merkel noch vor Wochen aufgetreten. Gestern haben
die Mitglieder eine andere Vorsitzende erlebt: rhetorisch stark,
wortwitzig und angriffslustig. Der Lohn war ein fast zehnminütiger
Beifall. Doch viel wichtiger ist: Die Vorsitzende hat deutlich
gemacht, wofür die Partei steht. Sie ließ kein aktuelles Thema aus,
auch wenn man sich zur desaströsen Lage der Kommunalfinanzen
konkretere Lösungsansätze gewünscht hätte. Der Auftakt des
zweitätigen Parteitages darf als gelungen bezeichnet werden. Die
Grundmelodie stimmt. Ein Ruck könnte durch die Partei gehen, wenn
Merkel und die CDU ihren neuen Weg konsequent fortsetzen. Wer gedacht
hat, die CDU-Chefin befindet sich auf dem absteigenden Ast, der wurde
spätestens an diesem Montag eines Besseren belehrt. Seit Wochen schon
ist Angela Merkel eine Kanzlerin mit Kampf und klarer Kante. Gestern
ist dieses neue Profil zum ersten Mal auf großer Bühne deutlich
geworden.

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Andreas Kolesch
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