Auf der Anklagebank saß Joachim Löw gar nicht,
es kam ihm vielleicht so vor. Die Rechtfertigung, die der
Fußball-Bundestrainer vorzubringen hatte, war mit einem Unterton
versehen, der nach Entschuldigung klang: Er habe nach »bestem Wissen
und Gewissen« aufgestellt. Beides musste ihm also die Namen von Özil
und Khedira eingeflüstert haben, die er trotz unzureichender
WM-Darbietung überraschend wieder zurück ins Spiel nahm gegen
Südkorea. Ein »Impuls« hätte das sein sollen, sagte der
DFB-Chefcoach, von seinem Instinkt ist Löw in diesem Fall leider
verlassen worden.
Nun bleibt der Schwarzwälder immer noch der Weltmeistertrainer von
2014. 2018 ist er allerdings ein Trainer, der nicht einmal mehr die
Vorrunde überstand. Einen Waschgang, der diesen Fleck von der Weste
beseitigt, gibt es nicht. So was bleibt. Der Deutsche Fußball-Bund
wird Löw nicht vom Hof jagen deswegen, und ob er sich selbst
entlässt, weiß der 58-Jährige, der erst 46 war, als er anfing, so
kurz nach dem Desaster auch noch nicht so genau.
Einige seiner Entscheidungen sind zu hinterfragen, mit der
Nibelungentreue zu seinen behäbigen Weltmeistern machte Löw in
Russland gemessen am Confed Cup vor einem Jahr einen Schritt zurück.
Legte die siegreiche und motivierte Alternativformation damals die
Absicht zur Runderneuerung nah, so stellt sich das nun anders dar.
Löw wollte das Vermögen der amtierenden Champions-Generation
offenkundig ein letztes Mal ausreizen, es ging grandios schief. Vom
hohen Ross sind sie gefallen.
Mit dem von schlaffer Körpersprache kongenial unterstützten
Baldrian-Fußball war ein Weiterkommen schlechterdings unmöglich,
zumal der typische Reflex der vermeintlich Kleinen, Angst vor dem
Titelverteidiger zu haben, schlicht nicht mehr vorhanden ist.
Zwischendurch wollte Löw zeigen, dass er in sich ruht und die Dinge
sich schon richten lassen, da posierte er an einem Laternenpfahl in
Sotschi, und die Fotografen schossen ihn nur allzu bereitwillig ab
bei dieser gestelzten Geste. Den Gegenentwurf gab–s dann später, als
ein hibbeliger Bundestrainer hypernervös an der Seitenlinie
herumfuchtelte. Geholfen hat es nicht. Und nun? Soll er bleiben? Muss
Löw weg? So einfach ist das nicht, es schwimmen kaum Fische im
Kandidaten-Pool. Wichtigste Frage daher: Hätte er überhaupt die
Inspiration und das Interesse, den Job sozusagen noch einmal neu zu
beginnen?
Auch das Verhältnis zum Team-Manager Oliver Bierhoff spielt eine
Rolle. Der Quartier-Zwist Watutinki vs. Sotschi (zugespitzt: Karo
einfach gegen Fünf Sterne) ist zu nennen, wobei es natürlich komplett
lächerlich wäre, den spröden Sportschulencharme verantwortlich zu
machen für das Dahinscheiden. Die – zugegeben subjektive –
Beobachtung ist, dass dieser ausschließlich selbst eingebrockte und
von Störfeuern wie der Erdogan-Gündogan-Özil-Entgleisung mit
heraufbeschworene K.o. wenig bis gar kein Mitgefühl auslöst.
Das liegt auch daran, dass die Nationalmannschaft längst über der
Basis schwebt und sich als trendy Lifestyle-Einrichtung anbiedert.
Slogans wie »Best never rest«, das erst recht unsägliche #zsmmn oder
das bewusst kommerziell komponierte »Fanclub der Nationalmannschaft
powered by CocaCola« lösen das Team immer noch weiter vom
Traditionellen und deuten an, dass die Marketing-Maschine auf weit
höherer Drehzahl läuft als der gerade entthronte Weltmeister.
Aber bitte: Deutschland hat wirklich andere Sorgen im Augenblick,
und mehr als Fußball ist es dann auch wieder nicht.
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