Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum»Ehrenmord«-Prozess

Von denen, die gestern weinend und wehklagend
auf die Verurteilung Fendi Özmens reagiert haben, kann man sicher
nicht erwarten, dass sie sich die Worte des Vorsitzenden Richters zur
Mahnung gereichen lassen. Alle anderen, die in patriarchalischen
Kulturen leben, und das sind beileibe nicht nur Jesiden, werden die
Botschaft aber wohl verstanden haben: Die Zeiten, in denen das ein
oder andere allzu liberale Gericht Angeklagten in
»Ehrenmord«-Prozessen einen Kulturbonus zukommen ließ – sie sind
endgültig vorbei. Mehr noch zeigt das Detmolder Urteil: Es reicht
nicht mehr, das entbehrlichste Familienmitglied zum Mörder zu
bestimmen und vor Gericht zu schweigen, um das Familienoberhaupt vor
einer Bestrafung zu schützen. Nein! Allein die herausgehobene
Stellung des Patriarchen hat den Detmolder Richtern genügt, um eine
Verantwortung des Angeklagten zu begründen. Gegen seinen Willen, so
die Argumentation des Gerichts, hätten die Geschwister Arzu nicht
hingerichtet. Und Arzus Vater habe in der Tatnacht keinen
gegenteiligen Willen geäußert, schlussfolgern die Richter aus der
Tatsache, dass das Mädchen erschossen wurde. Selten war die Spannung
vor einer Urteilsverkündung so groß, war der Ausgang eines Prozesses
für die Öffentlichkeit und den Angeklagten so schwer einzuschätzen.
So saßen gestern – völlig unüblich – auch mehrere Richter und
Staatsanwälte im Zuschauerraum, um die Urteilsbegründung unmittelbar
zu erleben. Sie hörten die Worte eines Richters, der nicht den Hauch
eines Zweifels daran ließ, dass der Angeklagte mitschuldig ist an der
Hinrichtung seiner Tochter. Das bundesweit beachtete Urteil von
Detmold wird zwar kaum zur generellen Abschreckung dienen, denn so
einfach lassen sich jahrhundertealte Traditionen nun einmal nicht
brechen. Aber vielleicht bringt es ja doch die ein oder andere
patriarchalische Familie dazu, der Gewaltspirale, wie es sie auch in
diesem Fall gegeben hat, nicht mehr bis zum Äußersten zu folgen,
sondern rechtzeitig die Notbremse zu ziehen. Wer nach Deutschland
flieht, weil er in seiner Heimat verfolgt wird, kann nicht Schutz und
Wohltaten unseres Landes in Anspruch nehmen, aber unser Rechtssystem
ablehnen. Das sollte besonders jenen Flüchtlingsfamilien klar sein,
die inzwischen Deutsche sind und deren Kinder hier geboren wurden.
»Ehrenmord« und Blutrache – dafür ist bei uns kein Platz. Der Fall
Arzu Özmen hat gezeigt, wohin ein völlig falsch verstandener
Ehrbegriff führen kann: Ein Kind ist tot, fünf Kinder sitzen im
Gefängnis, nun kommt auch noch ihr Vater hinter Gitter, und auch ihre
Mutter wird angeklagt. Welche Perspektive bleibt da noch den vier
minderjährigen Kindern? Auch darüber sollten jene einmal nachdenken,
die die Familie Özmen wegen Arzus westlichem Lebenswandel abfällig
behandelt und geschnitten haben. Sie sind ein Teil der tödlichen
Gewaltspirale gewesen – auch wenn sie dafür nie vor Gericht kommen
werden.

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 – 585261

Weitere Informationen unter:
http://