Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Euro-Gipfel

Regierungserklärung kurzfristig abgesagt,
zweiten Euro-Gipfel für Mittwoch hastig anberaumt: Unübersehbar
steuert das Krisenmanagement der Europäer auf einen neuen Höhepunkt
zu. Die nächsten 96 Stunden sind für die Zukunft Europas und der
Euro-Zone von enormer Bedeutung. Die Frage lautet: Erleben wir den
Anfang vom Ende oder doch so etwas wie die glückliche Wende? Der
Streit zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident
Nicolas Sarkozy um die Hebelung des Rettungsschirms EFSF lässt Böses
erahnen. Dabei muss eine Lösung her, die den Märkten die Lust aufs
Spekulieren nimmt. Halbherzige Beschlüsse helfen nicht mehr weiter.
Ganz zu schweigen davon, dass die Politiker so den letzten Rest des
Vertrauens, der in der Bevölkerung geblieben ist, aufs Spiel setzen
würden. Die Politik muss endlich agieren und nicht immer bloß auf die
Finanzwirtschaft reagieren, sonst wird sie die Menschen weiter
frustrieren. Dann aber gerät nicht mehr nur unser Wohlstand in
Gefahr, sondern auch unser Gesellschaftssystem. Die »Occupy«-Bewegung
lieferte bisher allenfalls einen Vorgeschmack auf das, was kommen
könnte. Was also ist in der aktuellen Lage zu tun, was zu lassen? 1.)
Der EFSF darf über den Hebel nicht zum Selbstbedienungsladen für
Schuldenländer oder zum Rettungsschirm für Frankreich werden. Im
Gegenteil muss die Haushaltsdisziplin der Staaten verschärft werden.
Zu lange haben zu viele Länder über ihre Verhältnisse gelebt. Zu oft
haben die Politiker ihre Wohlfahrtsversprechen an die Bürger auf Pump
finanziert – auch in Deutschland. 2.) Die Rekapitalisierung der
Banken muss – notfalls selbst gegen deren Willen – vorangetrieben
werden, um einen größeren Schuldenschnitt für Griechenland möglich zu
machen, zugleich aber die Ansteckungsgefahr für andere Länder gering
zu halten. 3.) Die Regulierung der Finanzmärkte muss forciert werden.
Schärfere Sanktionsrechte sind ebenso nötig wie die Einschränkung des
Hochfrequenzhandels. 4.) Es bedarf einer
Finanzmarkttransaktionssteuer. Wenn diese wie zu erwarten wegen des
Widerstandes Großbritanniens auf EU-Ebene nicht durchzusetzen ist,
muss sie unter den 17 Euro-Staaten vereinbart werden. Scheitert auch
das, muss Deutschland national handeln. Das Beispiel der
Schuldenbremse zeigt, dass Europas größter Volkswirtschaft durchaus
eine Vorreiterrolle zukommen kann. 5.) Der dauerhafte Schutzschirm
ESM muss von Mitte 2013 auf Anfang 2013 vorgezogen werden, damit
geordnete Insolvenzen von Ländern und Banken schneller möglich
werden. Schließlich muss ein Masterplan für ein Europa der Zukunft
her – eine Euro-Agenda 2020 sozusagen. So richtig es ist, im dichten
Nebel auf Sicht zu fahren, so notwendig ist es auch, zu wissen, wo
man ist und wo man eigentlich hin will. Andernfalls wird man den Weg
nie finden – selbst dann nicht, wenn sich der Nebel verzogen hat.

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