Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum EZB-Neubau

Chaos und Gewalt rund ums Kulturzentrum Rote
Flora in Hamburg. Jährliche Mai-Krawalle in der Hansestadt und in
Berlin. Brandanschläge auf Asylbewerberheime. Drohungen gegen
Politiker und ihre Familien. Schlägereien am Rande von
Fußballspielen. Die gewalttätige Hooligan-Demo Ende Oktober in Köln.
Und nun als das vorläufige Ende der Gewaltspirale mehr als 220
Verletzte, Barrikaden sowie brennende Feuerwehr-, Polizei- und
Privatfahrzeuge in Frankfurt: Die Richtung stimmt nicht mehr.

»Keine Gewalt!« Es gab eine Zeit, und sie ist noch nicht so lange
her, da standen 99 Prozent der Gesellschaft hinter dieser Forderung.
Da diskutierte man sogar, ob es schon gewalttätig sei, wenn
Demonstranten sich vor einen Atommüll-Transport setzen und wegtragen
lassen. Dahin müssen wir zurück!

Sicher gibt es immer und überall einige gewaltbereite Spinner.
Doch ist es nicht nur Aufgabe der Polizei, sondern auch der
friedlichen Demonstranten, diese zu isolieren und an der
Gewaltausübung zu hindern. Wachsweiche Stellungnahmen der Sprecher
der Frankfurter Blockupy-Bewegung diskreditieren sich selbst. Zum
Glück waren wenigstens die Aussagen aller Politiker eindeutig – gegen
die Gewalt. Manche haben sich 2010 über den Wutbürger-Protest gegen
den neuen Bahnhof 21 in Stuttgart lustig gemacht. Doch nehmen wir
Demonstranten nur ernst, wenn sie Steine werfen, läuft etwas falsch.
Auch in Frankfurt verhielt sich die Mehrheit der 17 000, die am
Nachmittag und Abend demonstrierten, friedlich. Über ihre Kritik am
1,3 Milliarden Euro teuren Neubau der Europäischen Zentralbank kann
man diskutieren – ohne sie zwangsläufig akzeptieren zu müssen.
Immerhin kostete der Turmbau zu Frankfurt vermutlich doppelt so viel
wie die ebenfalls umstrittene Elbphilharmonie in Hamburg.

Andererseits jedoch richtete sich der Protest gestern weniger
gegen Mario Draghis Prachtbau als gegen die europäische Finanzpolitik
und die Griechenland auferlegten Sparmaßnahmen. Dafür aber wären
eigentlich Berlin und Brüssel die richtigen Orte, um zu demonstrieren
– oder noch besser Athen. Dort nämlich liegen die Ursachen der hohen
Staatsverschuldung. Die EZB hat mit ihren Milliarden bisher einen
totalen Absturz verhindert.

Doch zugegeben: Da kann man anderer Meinung sein. Allerdings nur
gewaltfrei!

Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
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