Nach der Bundestagswahl stehen die Parteien vor
gewaltigen Umbrüchen – strukturell wie personell. So wirkt Martin
Schulz trotz seiner kurzen Amtszeit beinahe schon wie aus der Zeit
gefallen. Das hat der SPD-Parteitag eindrucksvoll bewiesen. Und auch
Angela Merkels Ära neigt sich unaufhaltsam dem Ende entgegen – selbst
wenn sie noch mal eine Koalition aus Union und SPD schmieden kann.
Die Zeichen stehen auf Generationswechsel. Die CSU hat den ersten
Schritt bereits gemacht. Läuft alles glatt, wird Markus Söder
demnächst Horst Seehofer als bayerischer Ministerpräsident beerben.
Nun sind die Grünen dran. Und dabei geht es ums Eingemachte.
Wenn morgen in Hannover eine neue Doppelspitze gewählt wird,
könnte es sein, dass die Grünen gleich mit zwei ehernen Gesetzen
brechen. War ihnen bisher die Trennung von Amt und Mandat heilig, so
ist Robert Habeck als Vorsitzender nur zu bekommen, wenn die Partei
ihm eine Übergangsfrist einräumt. Habeck hat klar gemacht, dass er
erst seine Ministergeschäfte in Schleswig-Holstein zu einem
ordentlichen Abschluss bringen will.
Der 48-Jährige, einer der Architekten der Kieler Jamaika-Koalition
aus CDU, FDP und Grünen, kann es sich leisten, eine solche Forderung
zu stellen – gilt er doch als neuer Shootingstar seiner Partei. Als
Charismatiker, der dringend gebraucht wird nach dem freiwilligen
Abgang von Cem Özdemir, der nur zu gern Minister unter Merkel
geworden wäre und sich seinem Ziel so nah wähnte – bis FDP-Chef
Christian Lindner aufstand und ging. Auch die unverrückbare
Flügel-Arithmetik der Öko-Partei, wonach das Führungsduo aus einem
Fundi und einem Realo zu bilden sei, steht zur Disposition. Mit
Habeck und Annalena Baerbock könnten es zwei Realos an die Spitze
schaffen.
Das wäre nur konsequent angesichts der jüngsten Verschiebungen im
deutschen Parteiensystem. Zwar ist für die Grünen der Traum von
Jamaika am Ende jäh geplatzt, doch haben ihnen die
Sondierungsgespräche trotzdem genutzt. Ihr Ansehen ist zuletzt
gestiegen.
Sicher auch deshalb, weil die Grünen – anders als andere Parteien
– an ihrem Willen zum Regieren und zur Übernahme von Verantwortung
nie einen Zweifel ließen. Die Partei ist so in der öffentlichen
Wahrnehmung weiter in die Mitte gerückt. Ein Bündnis mit CDU und CSU
überrascht heute niemanden mehr. Zugleich bleiben die Grünen weiter
anschlussfähig an SPD und Linkspartei.
Gewiss: Derzeit stehen die Grünen als kleinste von sechs
Fraktionen im Bundestag bundespolitisch ohne Macht da. Die Wahl der
Parteispitze dürfte jedoch Aufschluss darüber geben, wo die Grünen
ihre Zukunft sehen: Verharren sie in alten Mustern oder weist ihr Weg
in eine neue Zeit?
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Andreas Kolesch
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