Holocaust. Das griechische Wort bedeutet
»vollständig verbrannt« oder »Ganzbrand«. Die Übersetzung des
Begriffs schafft eine Vorstellung von dem, was die Nazis taten: Juden
ausrotten. Und die Vorstellung wird noch deutlicher, wenn man Fotos
von Leichenverbrennungen in Auschwitz und anderen
Konzentrationslagern betrachtet. Der Holocaust-Gedenktag, erst 1996
vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog eingeführt, kann in
Deutschland – und anderswo, aber aus bekannten Gründen in erster
Linie bei uns – kein Tag wie jeder andere sein.
Das war er aber über viele Jahre doch. Nicht jeder Kalender hat am
27. Januar einen Vermerk. Der Holocaust-Gedenktag lief so mit: eine
Rede hier, ein Kranz dort. Das hat sich geändert. Denn der Judenhass
ist aktuell geworden.
Kurz vor dem Holocaust-Gedenktag 2017 griff AfD-Rechtsaußen Björn
Höcke die deutsche Erinnerungskultur und die Aufarbeitung der
Ermordung von sechs Millionen Juden an und sprach von »Schuldkult«.
Das war eine Schande. Gleiches gilt für die Verbrennung von
Israel-Flaggen mit dem jüdischen Davidstern in Berlin durch
muslimische »Demonstranten« vor wenigen Wochen.
Vor diesem Hintergrund wird über die Frage gestritten, welcher
Antisemitismus für Juden der bedrohlichste ist. Der muslimische, der
rechtsextreme oder der linksradikale? Die Kriminalitätsstatistik gibt
da wenig Aufschluss. Wer diese unsauber ermittelten Werte
interpretieren will, bewegt sich auf unsicherem Gelände. Natürlich:
Jede einzelne Tat ist eine Tat zu viel. Taten statistisch
festzuhalten ist wichtig. Noch wichtiger als die quantitative
Erfassung ist die qualitative Bewertung. Eine Hakenkreuzschmiererei
ist etwas anderes als ein gewalttätiger Angriff auf einen jüdischen
Schüler. Beides gleich zu gewichten führt nicht weiter.
Den richtigen Weg im Umgang mit Personen, die ein Problem mit
Juden haben, hat die deutsche Gesellschaft noch nicht gefunden. Dass
Aktionskünstler auf dem Grundstück neben Björn Höckes Haus in
Thüringen das Holocaust-Mahnmal nachgestellt haben, kann man gut oder
weniger gut finden. Keine Wahl hat man, wenn an einem deutschen
Wahrzeichen wie dem Brandenburger Tor Israel-Flaggen brennen und »Tod
den Juden« geschrien wird.
Warum gab es da keine vernehmbare Gegenreaktion, die es mit dem
»Kampf gegen Rechts« hätte aufnehmen können? Fühlen wir uns für den
Judenhass von Muslimen, die bei uns leben, nicht genauso
verantwortlich wie für den Judenhass von Deutschen? Über diese Fragen
lohnt es sich nachzudenken. Jeden Tag. Und am Holocaust-Gedenktag
ganz besonders.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 – 585261
Original-Content von: Westfalen-Blatt, übermittelt durch news aktuell