Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Spionage-Skandal

Die BND- und NSA-Affäre wird für die
Bundesregierung immer brenzliger. Auch gestern drückte man sich um
klare Antworten auf klare Fragen herum, verwies auf Verschlusssachen
und Geheimhaltung. Doch das klingt wie vorgeschoben, wenn noch nicht
einmal widersprüchliche, zeitliche Abläufe offen gelegt werden. Der
Verdacht liegt nahe, dass jetzt versucht wird, den ein oder anderen
Kopf zu retten.

Bundeskanzlerin Angela Merkels Versprechen von der umfassenden
Aufklärung klingt somit wie Hohn. Denn echter Aufklärungswille von
Regierungsseite ist kaum zu erkennen. Mit Rücksicht auf den wichtigen
Verbündeten USA hat man augenscheinlich die Handbremse angezogen. Das
war in der Vergangenheit auch schon so, als die NSA-Affäre bekannt
wurde. Nur einmal wagte sich Merkel aus der Deckung, als sie mit
Blick auf ihr eigenes Handy anmerkte: »Ausspähen unter Freunden – das
geht gar nicht.« Danach herrschte weitgehend Schweigen im
transatlantischen Walde, obwohl es viel zu klären gegeben hätte.

Das Ausmaß der Affäre wird jedenfalls immer größer. Und damit
müsste die Aufklärung tatsächlich zur Chefsache werden. Aber Merkel
ist dafür bekannt, dass sie penibel genau darauf achtet, sich
politisch möglichst nicht die Finger zu verbrennen. Das sollen dann
schon andere tun.

Freilich wird der öffentliche Druck vor allem der Opposition auf
die Regierung immer größer. Zum Glück. Bundesinnenminister de
Maizière bekommt das gerade massiv zu spüren: Ist de Maizière ein
Pinocchio, ein Lügenbaron, wenn sein Ministerium offenbar wider
besseren Wissens noch am 14. April auf eine parlamentarische Anfrage
behauptete, es gebe keine angebliche Wirtschaftspionage? Der
Minister steht nun in einem noch schlechteren Licht da. Einen Lauf
hat er derzeit nicht. Nächste Woche muss er etwa zum umstrittenen
Sturmgewehr G 36 im Verteidigungsausschuss Rede und Antwort
stehen.

Auch muss man wissen, dass solche Anfragen innerhalb der
Bundesregierung eng koordiniert werden. Mit dem Kanzleramt
insbesondere dann, wenn es um die heiklen Themen Spionage und innere
Sicherheit geht. Also gerät nun auch der amtierende Amtschef Peter
Altmaier unter Druck. Was wusste er wann genau?

Es gibt allerdings weitere Verantwortliche, weil davon auszugehen
ist, dass die Abhörpraxis schon seit zehn Jahren läuft. Noch halten
sich die schwarz-roten Koalitionspartner daher mit gegenseitigen
Attacken zurück.

Weder die SPD noch die Union haben ein echtes Interesse daran,
sich wechselseitig in dieser Angelegenheit zu schaden. Auch die
Genossen stellten mit Frank-Walter Steinmeier schon mal den
Kanzleramtsminister. Außerdem hat die Koalition genug andere
Probleme. Lange wird der Kurs der Verschleierung aber wohl nicht
durchzuhalten sein – hoffentlich.

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Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
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