Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Terror in Frankreich

Nach Stunden der Ungewissheit, nach Bangen,
Hoffen und Zittern doch noch die Nachricht: Die Geiselnahmen in
Frankreich sind beendet – immerhin das. Doch bleiben die
abscheulichen Taten, bleiben die schrecklichen Tage des Terrors.
Paris, Nigeria, Paris: Zur Trauer um die Toten und zu der Sorge um
die Verletzten gesellt sich die bange Frage: Wie soll das bloß alles
weitergehen? Nicht gut, nimmt man die Warnung der IS-Terrormiliz
ernst, die den Anschlag auf »Charlie Hebdo« als Start einer
Terrorkampagne mit weiteren Angriffen in Europa und den USA
bezeichnet. Und leider haben wir allen Grund dazu, die Drohung dieser
radikalen Schlächter sehr ernst zu nehmen.

Die Erschütterung ist zu spüren, sie geht auch uns nahe. Nicht,
weil es in Paris vor allem Journalisten waren, die getötet wurden.
Nein, sondern weil es wieder unsere Werte einer freien, offenen
Gesellschaft sind, die getroffen wurden. Der Terror rückt uns näher.
Wir spüren: Absolute Sicherheit gibt es nicht – kann es, wird es
nicht geben. Das heißt auch: Raushalten und Wegducken gibt es nicht,
kann es und darf es nicht geben. Es sei denn, wir wollen zulassen,
dass diese Mörderbanden ihre menschenverachtenden Ziele erreichen.
»Je suis Charlie« – weltweit ist dieser Slogan zum Symbol geworden.
Das tut gut, weil es ein Zeichen der Solidarität ist, weil es zeigt,
dass alle, die in Freiheit und Demokratie leben wollen, sich von den
Bluttaten in Paris – und nicht weniger von den Massakern in Nigeria –
angegriffen fühlen müssen. Doch »Je suis Charlie« ist weit mehr als
eine Geste der Betroffenheit – es ist eine Selbstverpflichtung,
entschieden für die freiheitlich-demokratische Grundordnung
einzutreten. Und das ist angesichts des Vorbilds, das die Redaktion
von »Charlie Hebdo« seit Jahren abgegeben hat, viel leichter gesagt
als getan.

Man musste ihre Karikaturen nicht alle gut finden, und man muss
sie nicht zeigen, wenn es nur um ein »Jetzt erst recht!« ginge. Aber
man muss sie zeigen können, und sei es nur, um zu beweisen, dass sie
gezeigt werden dürfen.

Über Jahre arbeitete die Redaktion unter Polizeischutz. Liest man
heute nach, was Chefredakteur Stéphane »Charb« Charbonnier zu seinen
Überzeugungen gesagt hat, und sieht man sich seine letzten
Zeichnungen an, so wirkt alles fast wie eine düstere Vorahnung. Man
kann sich nur verneigen vor so viel Mut, vor so viel Aufrichtigkeit,
vor einem solchen Maß an Freiheitsliebe.

Wenn wir also in Zukunft – ob an diesem Wochenende oder wann auch
immer – »Je suis Charlie« postulieren, erwarten wir viel von uns. Wir
erwarten den Mut, die Dinge beim Namen zu nennen. In diesem Sinne ist
es ein Zeichen der Hoffnung, wie schnell und deutlich Muslime in
aller Welt sich vom Terror in Paris distanziert haben. In diesem
Sinne ist es gut, wenn Benjamin Idriz, Imam im oberbayerischen
Penzberg, über die Attentäter sagt: »Unsere Religion wird durch
solche Kriminellen komplett in Frage gestellt. Diese Menschen haben
unserer Religion viel mehr Schaden zugefügt, als diese Karikaturen es
jemals tun könnten.« Aber dieses Bekenntnis war auch bitter nötig.
Und wenn es sein muss, wird es zu wiederholen sein. Im Zweifel immer
wieder aufs Neue.

Und machen wir uns nichts vor: Wir erwarten auch dann schon viel
von uns, wenn wir Verschiedenheit Verschiedenheit sein lassen wollen,
so lange sie nur die Freiheit und das Leben des Nächsten nicht in
Gefahr bringt. Wir erwarten schon dann von uns eine nicht enden
wollende Toleranz und den Eifer, stets vor dem Urteil Erfahrungen zu
sammeln. Wir erwarten, immer wieder den Austausch mit dem Nächsten zu
suchen, immer wieder aufeinander zuzugehen – auch jetzt, nach Paris
und nach Nigeria, wenn das Herz uns bis zum Hals schlägt. Das ist
vielleicht am schwersten überhaupt.

»Der beste Weg, die Opfer zu ehren, ist der Kampf für Offenheit,
Toleranz und Vielfalt«, hat die norwegische Ministerpräsidentin Erna
Solberg dieser Tage gesagt. Und gewiss weiß sie, drei Jahre nach der
irren Tat des Rechtsradikalen Anders Behring Breivik, wovon sie
spricht. Wir alle stehen vor dieser großen, harten Bewährungsprobe.
Und die wird andauern – unser Leben lang.

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Andreas Kolesch
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