Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Afghanistan:

Die Lage in Afghanistan ist verfahren, und die
deutsche Afghanistan-Debatte ist es auch. So wird im Bundestag
derzeit Weltpolitik vornehmlich im Zeichen deutscher Innenpolitik
betrieben. Da ringt eine Regierung nicht nur um ein neues Mandat für
den Einsatz der deutschen Soldaten am Hindukusch, sondern sie ringt
vor allem mit sich selbst und um ihr Ansehen. Auch wenn das
Parlament am nächsten Freitag der Verlängerung des Einsatzes bis
Februar 2012 zustimmt, was als sicher gelten darf, geht es längst
darum, wie man möglichst schnell und politisch möglichst unbeschadet
rauskommt aus Afghanistan. Streit entzündet sich an der
Interpretation eines Satzes, der sinngemäß wie folgt lautet: Ende
2011 sollen die ersten deutschen Soldaten nach Hause zurückkehren,
wenn es die Sicherheitslage in Afghanistan erlaubt. Während
Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bis dato stets den Termin für
den Beginn des Truppenabzugs hervorhob, betonte Verteidigungsminister
Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) immer wieder, dass die Bedingungen
für den Beginn des Truppenabzugs erfüllt sein müssen. Ersteres ist
zweifelsohne populärer. Die übergroße Mehrheit der Deutschen hat
längst jeden Glauben an Sinn und Nutzen der Mission verloren.
Letzteres wird deswegen aber nicht weniger richtig. Ein fluchtartiger
Rückzug wäre ein Verrat an den ungezählten Opfern auf allen Seiten
und an den Afghanen, die auf die Hilfe des Westens zählen. Dass sich
Westerwelle und zu Guttenberg nun im Plenum in Harmonie übten, dürfte
vor allem mit den aktuellen Turbulenzen in der Bundeswehr und im
Verteidigungsministerium zu tun haben. Das hatte man gar nicht mehr
für möglich gehalten: Der CSU-Shootingstar und Strahlemann zu
Guttenberg in Not und Westerwelle – mit Volkes Meinung im Rücken und
der SPD als heimlichem Verbündeten – gönnerhaft wie gestenreich
obenauf. Gleichwohl waren Union und FDP bemüht, den Eindruck zu
zerstreuen, die Streitkoalition sei zurück. Auch
Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel leistete seinen Beitrag zum
Regierungsfrieden, als er sagte: »Vieles ist besser geworden in
Afghanistan.« Im Duktus wirkte das fast wie eine Replik auf Margot
Käßmanns oft zitiertes »Nichts ist gut in Afghanistan«. Kaum
vorstellbar allerdings ist, dass Niebels Worte die gleiche
Überzeugungskraft gewinnen. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch
die Frage, wie der FDP-Minister die angekündigten 800 weiteren
Entwicklungshelfer für den gefährlichen Einsatz in Afghanistan finden
will. Die Strategie der Regierung jedoch ist offensichtlich: Der
Schwerpunkt des deutschen Einsatzes soll sich wieder deutlich hin zum
zivilen Engagement verschieben. So richtig diese Idee sein mag, so
fraglich erscheint, ob sie nach mittlerweile zehnjährigem
militärischen Einsatz der internationalen Streitkräfte in Afghanistan
schnell Erfolg haben kann.

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