Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Energiewende

Ist das kompliziert! Die Reform des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes sei so ehrgeizig wie eine Gesundheits-
oder Rentenreform, hat Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU)
gestern gesagt. Da kann man schon Angst bekommen, ob wir überhaupt
rechtzeitig vor dem Anstieg des Meeresspiegels mit unserer weltweit
beachteten Energiewende fertig werden. Deshalb ist es schön, dass
gestern soviel von Einigkeit der beiden entscheidenden Ministerien
die Rede war. Seit Fukushima ist nämlich nicht nur auf den
Weltklimakonferenzen, sondern auch im Bundeskabinett genug Zeit
verplempert worden, als dass weiteres Zuständigkeitsgerangel von
Umwelt- und Wirtschaftsressort hinzunehmen gewesen wäre. Insgesamt
umfassen die auf den Weg gebrachten Vorhaben ein Volumen von knapp
zwölf Milliarden Euro für Höchstspannungsleitungen und
Gebäudedämmung. Das ist ein Wort und sollte in erheblichem Maße
Anschlussinvestionen von Wirtschaft und Hauseigentümern auslösen. In
den Köpfen ist allerdings auch noch viel zu tun. Das betrifft nicht
nur die Toleranz gegenüber landschaftsverändernden Bauprojekten,
sondern das zeigt auch die zum Teil irrationale Strompreisdiskussion
in den vergangenen Monaten. Hier stand der Grad der Aufregung in
keinem Verhältnis zum Anteil der Ausgaben für Elektrizität – weder
gesamtwirtschaftlich gesehen noch im Hinblick auf Privathaushalte.
Wir Verbraucher sind derweil viel vernünftiger, als uns das manchmal
zugebilligt wird. 2011 senkten die privaten Haushalte laut
Statistischem Bundesamt ihren Energieverbrauch im heimischen Bereich
bereinigt um Witterungseffekte um 6,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Seit 2000 ging der Verbrauch demnach sogar um knapp 18 Prozent
zurück. Das größte Minus gab es da, wo es wirklich wichtig ist –
nämlich nicht beim Strom, sondern beim Heizen, für das auch 2011
wieder etwa 70 Prozent der Haushaltsenergie eingesetzt wurden. Neue,
effizientere Heizungsanlagen, andere Energieträger, bessere
Gebäudedämmungen, Verhaltensänderungen beim Heizen und Lüften: Es
gibt einen Mix aus Erklärungen für diese erfreuliche Entwicklung. Die
Steigerung der Preise für Heizenergie befördert diesen Trend, der
anhalten muss. Deswegen wären die gestern vom Bundesumweltminister zu
Recht erneut abgelehnten Sozialtarife auch ein falsches Signal. Bei
wem die Einsicht nicht von allein reift, der muss eben vom Preis zum
Sparen gebracht werden. Auch technische Innovationen gehen dann am
schnellsten, wenn ein Profit winkt. Die Alternativen auf dem Weg zu
den Klimazielen der Bundesregierung wären Konsumverzicht, Mobilitäts-
und Komforteinschränkungen. Da mag jeder für sich nachdenken, wie
sehr er dazu bereit ist. Es ist wohl realistisch, lieber auf Geld als
auf moralische Appelle zu setzen. Immerhin tut sich endlich etwas.

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