Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Geldmarktpolitik:

Die Börsenkurse fallen, die Griechen streiken,
die Euro-Skeptiker bestimmen die Debatte – wohin führt das alles? Wie
kommen wir da heraus? Wenn schon kein Mensch mehr, so scheint es, den
Überblick behalten kann, dann sollte es doch wenigstens eine
Ansammlung von Experten unter einem ordentlichen, von der
Europäischen Union legitimierten Dach können. Ein Kandidat hat sich
aus deutscher Sicht endgültig verabschiedet, diese Institution zu
sein: die Europäische Zentralbank (EZB). Sie ist nicht plötzlich aus
dem Rennen ausgeschieden, sie hat ihre Wettbewerbsfähigkeit,
überhaupt ihr Antrittsrecht verschenkt, indem sie sich peu à peu von
ihren Grundprinzipien verabschiedet hat. Sie sollte die Währung
schützen, aber keine schlechte Haushaltspolitik belohnen. Sie hielt
sich nicht daran. Der Sündenfall begann bereits im Mai 2010. Doch der
Reihe nach: Wer oder was ist die EZB überhaupt? Wer oder was sollte
sie sein? Die Antworten auf diese Fragen fallen seit jenem Datum
leider grundverschieden aus. Unter dieser Divergenz leidet seither
nicht nur die Institution als solche, sondern ganz Europa. Fangen wir
damit an, was die EZB zurzeit ist: Sie ist ein Staatsfinanzierer. Sie
kauft Staatsanleihen auf, die sonst niemand haben will: erst
griechische, dann italienische und spanische. Erst in der vergangenen
Woche übernahm sie Anleihen im Volumen von knapp 14 Milliarden Euro.
Das waren fast 700 Millionen mehr als in der Woche zuvor. Sie tut
dies, damit Italien und Spanien trotz ihrer hohen Staatsverschuldung
einigermaßen günstige Konditionen für neue Anleihen auf den
internationalen Kapitalmärkten vorfinden. Die EZB will die Märkte
also beruhigen. Als ebenjener Stabilisator war sie einst gegründet
worden. Nur: Schaut man sich die Instrumente, die ihr 1992 im Vertrag
von Maastricht zugeschrieben wurden, explizit an, erkennt man
schnell: So war das nicht gedacht. Es galt das eherne Prinzip,
niemals Staatsanleihen hochverschuldeter Euroländer zu kaufen. Die
EZB sollte eben keine Maschine sein, die Geld druckt, damit
Pleitestaaten ihre Haushalte sanieren können. Im Mai 2010 tat sie es
dennoch und startete den Kauf griechischer Staatsanleihen. Sie brach
mit ihrem Prinzip – nicht nur einmal, sondern immer und immer wieder.
Der Chefsvolkswirt Jürgen Stark brach schließlich mit der EZB.
Obgleich er persönliche Gründe nannte, bestätigte sein Rückzug in der
vergangenen Woche den Eindruck: Der Ankauf von Staatsanleihen ist
keine kurzfristige Maßnahme mehr, sondern anerkannte Realität. Stark
hatte sich gemeinsam mit dem ehemaligen Chef der Bundesbank, Axel
Weber, vehement gegen diesen Schritt ausgesprochen. Die EZB weiß
anscheinend keine Alternativen mehr. Sie ist zu einem
Selbstbedienungsladen für Schuldenstaaten degeneriert.

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