Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Kriminalstatistik

Deutschland darf sich nicht daran gewöhnen, dass
jede Woche statistisch gesehen drei Kinder durch Gewalt oder
Vernachlässigung sterben. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, dass
diese Zahl zurückgegangen ist. Die auf den ersten Blick positiv
anmutende Entwicklung täuscht nicht darüber hinweg, dass es in
Deutschland erhebliche Defizite im Umgang mit Gewalt gegenüber
Kindern gibt. Sechs Prozent weniger körperliche Misshandlungen sind
eben immer noch elf Fälle pro Tag. Das ist nicht positiv. Den
Jugendamtsmitarbeitern die Schuld zu geben, ist deplatziert. Es sind
die Rahmenbedingungen, die nicht stimmen. Bundesweite
Qualitätsstandards in der Betreuung von Familien in einer schwierigen
Lage existieren nicht. Es ist unfassbar, dass regelmäßige Hausbesuche
in einigen Bundesländern nicht vorgesehen sind. Kinderhilfe-Chef
Georg Ehrmann verweist zu Recht auf den Fall Kevin. Eine intensive
Betreuung gehörte nicht zu den Standards. Der Zweijährige aus Bremen
war vom amtlichen Vormund als gesund bezeichnet worden. Zu diesem
Zeitpunk war er bereits tot – vom Ziehvater mit Drogenkarriere in
einem Kühlschrank versteckt. 20 Knochenbrüche mussten bei der
Obduktion festgestellt werden. Beim Thema sexueller Missbrauch gibt
es ebenfalls gesetzliche Mängel. Warum müssen ehrenamtliche
Mitarbeiter in Sportvereinen beispielsweise kein ausführliches
polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, bevor sie mit Kindern
arbeiten? Das schadet niemandem. Hier darf sich die Politik nicht
hinter der Theorie verstecken, Einzelfälle von Fehlverhalten könne
sie nicht ausschließen. Es wäre ein Leichtes, solche Bedingungen in
Gesetzen zu verankern. An dieser Stelle braucht es politische
Vorgaben. In dieser erschreckenden Bilanz lässt sich aber auch etwas
Erfreuliches finden. Die Zahl der erfassten sexuellen Delikte ist
gestiegen. Klingt negativ, birgt aber ein positives Signal. Auch wenn
die Dunkelziffer weiterhin hoch bleibt, scheint die Gesellschaft
genauer hinzuschauen. Nur so ist die gestiegene Zahl gemeldeter
Vergehen zu erklären. Experten sind sich einig, dass nicht die
Straftaten mehr wurden, sondern deren Aufdeckung. An dieser
gestiegenen Aufmerksamkeit sollten sich alle auch beim Thema Besitz
kinderpornografischen Materials ein Beispiel nehmen. Es ist immer
noch ein Tabu. Das muss sich ändern. Menschen mit dem Kauf solchen
Materials in ihrer sexuellen Ausbeutung von Kindern zu unterstützen,
ist genauso verachtenswert und pervers, wie sich an ihnen zu
vergehen. Hier muss genauer hingeschaut werden – sowohl auf Seiten
der Gesellschaft, aber auch der Behörden. Die Verbreitung von
Kinderpornos haben die Staatsorgane zwar auf der Agenda, doch Besitz
und Beschaffung werden bislang noch zu wenig zielstrebig verfolgt.
Auch 6332 registrierte Fälle (2011) von Kinderpornografie dürfen in
Deutschland nicht zur Normalität werden.

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