US-Präsident Barack Obama ist wieder einmal zu
Gast in Europa – es ist seine achte EU-Reise seit Amtsantritt. Er
hält eine Rede in Dublin, trinkt ein Bier mit irischen Verwandten,
verbringt zwei Tage auf Einladung der Königin in London, besucht den
G-8-Gipfel in Frankreich und beendet die Reise in Polen, wo er
mehrere Mitteleuropäer zu einem Gipfeltreffen eingeladen hat. Wegen
seiner Beliebtheit in Europa hatten die Republikaner Obama im
Wahlkampf 2008 als den »ersten amerikanischen Präsidenten Europas«
geschmäht. Viele Europäer begrüßten den neuen Führungsstil im Weißen
Haus, nachdem George W. Bush die transatlantischen Beziehungen
demoliert hatte. Inzwischen wurde die Weltfinanzkrise gemeinsam
bekämpft und das Vertrauen in die neue multilaterale US-Außenpolitik
begründet. Dennoch herrscht keine transatlantische Hochstimmung: Die
BP-Ölpest im Golf, Differenzen über den Afghanistan-Einsatz, die
Libyen-Krise und Amerikas verhaltene Reaktion auf die Proteste in
Syrien, Bahrain, Oman und im Jemen stellen die US-Außenpolitik auf
den Prüfstand. Viele Europäer bedauern, dass Guantanamo nicht
geschlossen wurde und werfen Obama vor, sich mehr für Asien, Afrika
und den Nahen Osten als für die transatlantischen Beziehungen zu
interessieren. Nun sollen die neuen Krisen in Nahost und Nordafrika
möglichst gemeinsam bewältigt werden. Vier Länder in sechs Tagen:
Obama versucht, Europa und die USA während der Nato-Bombenkampagne
gegen Libyen und der zähen Konjunktur auf beiden Seiten des Atlantiks
auf ein gemeinsames politisches, wirtschaftliches und militärisches
Konzept einzuschwören. Obama will seine Führungsposition erneut
behaupten; doch inzwischen haben die USA zunehmend an
wirtschaftlicher Kraft und Macht verloren. China, Indien, die
»Tigerstaaten«, Brasilien und andere Schwellenländer positionieren
sich zunehmend als Herausforderer auf der Weltbühne. Solange die USA
ihren Haushalt dramatisch überziehen und gigantische Summen für die
Rüstung ausgeben, ist die Dekadenz programmiert. Obama mag sich als
guter Außenpolitiker, Moderator und Führer darstellen, sein Land kann
nicht mehr als geostrategischer Alleinherrscher auftreten.
Militärische Macht, die nicht von substantieller Wirtschaftsmacht
getragen wird, steht auf tönernen Füßen. In Europa hat man das
erkannt und damit gezögert, die EU militärisch hochzurüsten. Auch
China betreibt eine maßvolle Rüstungspolitik. Durch ihre militärische
Hybris und die ruinöse Haushaltspolitik betreiben die Vereinigten
Staaten den eigenen Niedergang. Für Europa bedeutet dies, die
transatlantische Beziehung zwar zu schätzen und zu pflegen, sich aber
vor einem gemeinsamen Abstieg mit den USA zu hüten.
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