Einer der größten Wirtschaftsprozesse der
Nachkriegszeit ist gestern nach 33 Verhandlungstagen zu Ende
gegangen. 69 Zeugen wurden gehört, eine Videoschaltung nach Polen
initiiert, Dolmetscher hinzugezogen. Die Akten füllten mehr als 11000
Seiten. Ein Mammutprozess, der allen Beteiligten angesichts der
Komplexität alles abverlangte. Die Suche nach der Wahrheit war ein
schwieriges Puzzlespiel. Wie so oft gibt es am Ende eines Prozesses
Gewinner und Verlierer. Im Schieder-Prozess verließen die Verteidiger
das Landgericht Detmold gut gelaunt, während die Staatsanwaltschaft
sichtlich unzufrieden war. In der Tat können die Angeklagten froh
sein, dass die Kammer den Vorwurf des schweren Betruges fallen
gelassen hat. Denn danach wären Freiheitsstrafen von zehn Jahren oder
mehr möglich gewesen. So sind Demuth & Co. gestern mit
vergleichsweise milden Strafen davongekommen. Klar dürfte aber auch
sein: Am System Demuth waren nicht nur die vier Verurteilten
beteiligt. Es wurde von vielen Schiederanern unterstützt. Ein Sumpf,
der sich schwer trocken legen lässt. Man kann dem Gericht indes
nicht vorwerfen, nicht tief genug in die Strukturen des Konzerns mit
seinen 110 Gesellschaften vorgedrungen zu sein. Die Kammer hat viele
Aspekte beleuchtet, fragte nach der Rolle der Banken, der
Wirtschaftsprüfer und der Sanierer. Sogar die Unterschiede zwischen
deutschem und polnischem Bilanzrecht wurden erörtert. Natürlich hat
der Fall Schieder auch Emotionen freigesetzt. Viele Weggefährten von
Demuth sind bis heute empört, dass man dem Möbel-König kriminelle
Energie unterstellt hat. Was für ein Affront! Aber es gibt auch
diejenigen, die Demuth gerne härter bestraft gesehen hätten: Das sind
die Arbeitnehmer, die ihren Job verloren haben. Das sind Lieferanten,
die bis heute auf ihr Geld warten. Sie sind sauer, wütend und dürften
sich über das Urteil ärgern. Und Demuth selbst? Seine heile Welt ist
spätestens mit der Insolvenz von Schieder im Juni 2007 zerbrochen,
möglicherweise schon einige Wochen zuvor, als er durch den Sanierer
Ulrich Wlecke abgelöst wurde und seine Anteile an die Banken
verpfändet hatte. Demuth hat sein Lebenswerk verloren oder – wie es
Oberstaatsanwalt Ralf Günther im Prozess formulierte: »Sein
Lebenswerk ist zerstört. Der Henry Ford der Möbelbranche ist vom
Sockel gestürzt.« Mitleid ist gleichwohl fehl am Platz. Und wer
Demuth kennt, weiß, dass er auch kein Mitleid will. Demuth war ein
ebenso gewiefter wie erfolgreicher Geschäftsmann. Er hat fast aus dem
Nichts einen Konzern mit 11000 Beschäftigten aufgebaut. Er hat ein
Gespür für Trends und Märkte gehabt. Aber er hat auch schwerwiegende
Fehler gemacht und diese eingestanden. Demuth, einst einer der 200
reichsten Deutschen, hat sein Vermögen verloren, dürfte aber mit der
Familie im Rücken auch künftig nicht am Hungertuch leiden.
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Andreas Kolesch
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