Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Sexismus

Es ist schäbig, wenn ein Politiker eine
Journalistin mit sexistisch-chauvinistischen Sprüchen belästigt.
Daran darf kein Zweifel bestehen. Das gilt nicht nur für den
designierten FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle. Diese Grundregel
sollte im Umgang von Männern und Frauen selbstverständlich sein. Es
geht auch nicht darum, Politikern das Flirten zu verbieten. Wenn eine
Reporterin jedoch sagt, dass die professionelle Berufsebene
eingehalten werden soll, muss das reichen. Natürlich ist es ein
taktischer Zug des »Stern«, diese ein Jahr alte Geschichte
ausgerechnet zu veröffentlichen, wenn die FDP Brüderle als das neue
Gesicht der Partei verkauft. Besser wäre es gewesen, den Artikel
sofort zu bringen. Damals war das Verhalten ebenso falsch wie heute.
Es wird nach dem Motto verfahren: Je wichtiger das Amt eines
Politikers, desto höhere Maßstäbe. Das erinnert an Peer Steinbrücks
Honorare. Die waren vor seiner SPD-Kanzlerkandidatur ebenfalls lange
bekannt. Eine verspätete Publikation ist Kalkül. Es ist befremdlich,
dass die FDP Brüderle mit der Strategie verteidigt, auf dem
Veröffentlichungszeitpunkt herumzureiten. Niemand traut sich, ihn in
der Sache zu verteidigen. Zu Recht, denn sein Benehmen ist nicht zu
rechtfertigen. Das sollte die Partei klar sagen. Auf dem »Stern«
herumzuhacken ist zu kurz gegriffen; auf dem FDP-Kandidaten jedoch
auch. Das Problem Sexismus ist tiefgründiger als die teils
oberflächliche Debatte. Brüderle hin, Brüderle her: Der Vorfall hat
ein trauriges Phänomen in der Gesellschaft entlarvt. Alleine das ist
ein Erfolg. Sexismus ist in der Gesellschaft verbreitet und in weiten
Teilen akzeptiert. Wie häufig müssen sich Frauen
doppeldeutig-anzügliche Sprüche anhören? Und es geht nicht um ein
Augenzwinkern. Die Rede ist von peinlich-sexistischem Aufplustern.
Davon wissen Redakteurinnen ebenso ein Lied zu singen wie die meisten
anderen Frauen. Doch sie können auch etwas tun: mit deutlichen Worten
intervenieren. Häufig ertragen Frauen die Kommentare lächelnd statt
den Mund aufzumachen. Dazu braucht es Mut. Zu groß ist die Sorge, in
der Gruppe gleich als überempfindliche Zicke abgestempelt zu werden.
So machen es manche Frauen dem Gegenüber leicht, mit markigen
Sprüchen im Zentrum zu stehen. Der größte Fehler wäre jedoch zu
verallgemeinern. Mann ist ebenso nicht gleich Mann wie Politiker
nicht gleich Politiker ist. Klingt nach einer Binsenweisheit, ist
aber zentral, da viele Beiträge genau in diese Richtung driften. Fakt
ist: Situationen wie die jetzt debattierte kommen zu oft vor. Es geht
nicht zuletzt um das Weltbild einiger Männer, die in einer Generation
aufgewachsen sind, in der Frauen im Beruf keine wesentliche Rolle
spielten. Das prägt Verhalten. Wenn diese Herren auf dem Stand von
gestern verweilen und das zusätzlich von Selbstüberschätzung
begleitet wird, entsteht eine unangenehme Mischung, die nur ein Gutes
hat: Deutschland spricht über Sexismus. Das wurde höchste Zeit.

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