Ob der Amoklauf im US-amerikanischen Aurora
jemals ganz aufgeklärt werden kann, ist noch offen. Erklärt werden
kann das blindwütige Massaker nie. Egal, ob und was auch immer der
24-jährige James Holmes aussagt und was die Ermittlungsbehörden sonst
noch alles an Erkenntnissen zu Tage fördern: Mit gesundem
Menschenverstand ist und bleibt diese Tat unfassbar. Unfassbar muss
uns allerdings auch die Reaktion der amerikanischen Politik
vorkommen. Obwohl der Massenmord von Aurora mitten in den
Präsidentschaftswahlkampf fällt, ist er politisch weder für
Amtsinhaber Barack Obama noch für seinen Herausforderer Mitt Romney
ein Thema. Beide lassen zwar keine Gelegenheit ungenutzt, ihre
Verbundenheit mit den Opfern und ihren Hinterbliebenen zum Ausdruck
zu bringen. Zu einer Verschärfung der Waffengesetze schweigen sie
sich aber vielsagend aus. So darf bereits jetzt als sicher gelten,
dass Aurora ebenso wenig am geltenden Recht etwas ändern wird wie die
acht Amokläufe, die es in den USA allein in den vergangenen
dreieinhalb Jahren gegeben hat. Doch es ist nicht die Waffenlobby
allein, die die US-Politik fest im Griff hat. Auch die amerikanische
Seele hat ihren Anteil daran, dass sich Politiker in den Vereinigten
Staaten gut überlegen, ob sie sich für eine Einschränkung des
Waffenrechts einsetzen. Vielen Bürgern gilt der Besitz von Pistole,
Revolver und Gewehr als eine Art unveräußerliches Grundrecht. Muss
das also akzeptieren, wer in den USA politischen Einfluss erlangen
oder verteidigen will? Rein machtpolitisch könnte man so
argumentieren. Die Frage ist nur, ob man es tun sollte, wenn es außer
der langen Tradition keinen weiteren Argumente dafür, aber eine Reihe
von Gegenargumenten gibt. Erst recht, wenn man wie Präsident Obama
Friedensnobelpreisträger ist. Überhaupt kann man sich schon geraume
Zeit fragen, ob es nur die eigenen Wunschvorstellungen sind, an denen
gemessen Obama versagt, oder ob der einstige Hoffnungsträger einer
ganzen Generation einfach nicht das zu halten imstande ist, was er
vor vier Jahren vollmundig versprochen hat. Zweifelsohne ist es auch
mit den schärfsten Waffengesetzen der Welt unmöglich, Amokläufe ganz
und gar zu verhindern. Das jedoch kann kein Argument dafür sein, am
nahezu uneingeschränkten Recht, eine Waffe zu tragen, festzuhalten.
Wie weit die USA allerdings von dieser Erkenntnis entfernt sind,
zeigt die bizarre Debatte darüber, dass Waffen demnächst auch im Kino
erlaubt sein sollten, damit man sich in einem Fall wie dem in Aurora
besser verteidigen könne. In puncto Waffenbesitz ist und bleibt
Amerika nicht nur das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern
leider auch das Land der sehr begrenzten Vernunft. Die USA stehen in
– fast möchte man sagen – entwaffnender Ehrlichkeit zu diesem way of
life. Das aber macht ihn kein bisschen besser. Er bleibt schlicht und
ergreifend erschütternd und rückständig.
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