Das erste Weißbuch der Bundeswehr, das nicht nur
so heißt, sondern – zumindest im übertragenen Sinne – noch weiße
Seiten bietet, lädt zum Brainstorming ein: Erstmals veröffentlicht
eine deutsche Regierung seine sicherheitspolitische
Grundsatzerklärung vorab. Ein Jahr soll diskutiert, debattiert und
verändert werden. Erst dann liegt das Weißbuch 2016 in Endfassung
vor, schwarz auf weiß. Der gestern präsentierte Textvorschlag lässt
immerhin erkennen, wohin die Reise gehen soll. Nach dem Schwerpunkt
Auslandseinsatz im 2006er Buch will sich die Bundeswehr wieder mehr
selbst in den Blick nehmen, gut so. Allerdings darf bezweifelt
werden, ob Herausforderungen wie Elbhochwasser und Nachwuchssorgen
mit noch so raffinierten Formulierungen gemeistert werden können. Die
Ministerin versichert, dass ohne Zwänge und Tabus diskutiert werden
soll. Schön, alles andere wäre allerdings auch ein Skandal. Im
übrigen ist die drängendste Frage längst politisch vorgegeben. Der
Bundespräsident will »mehr Verantwortung in der Welt«, Verteidigungs-
sowie Außenminister plädieren für mehr internationales Engagement.
Unsere Repräsentanten halten deutsche Feuerwehreinsätze längst an
fast jedem Platz der Welt für denkbar. Ja, sie wollen dabei sogar
Führung. Soweit zum Thema »Denken ohne Tabus«: Das gibt es längst.
Mit Ausnahme der Linkspartei fährt auch der Bundestag diesen Kurs.
Stets und bereitwillig erteilen die Abgeordneten ihrer
»Parlamentsarmee« – das Wort allein ist schon ein Machtanspruch – den
Segen für vielerlei Einsätze. Es dürfte spannend werden, ob die
kommenden Diskussionen mehr innen- oder mehr außenpolitisch geprägt
sind. Die Binnenansicht wäre dringend nötig. Das verlangen
Umstrukturierungen, Standortschließungen, neue Waffensysteme und
Belastungen wie die Tatsache, dass es wieder gefallene und
schwerbeschädigte (das Wort wurde lange nicht benötigt) Soldaten
gibt. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die neuen
außenpolitischen Rahmenbedingungen zumindest die öffentliche Debatte
dominieren. Seit Russland wieder geopolitisch handelt,
Einflusssphären verlangt und sich dabei ganz klar durchsetzt, ist
eine neue Antwort gefordert. Aber wie umgehen mit dem einseitig
erklärten neuen Kalten Krieg? Auch die islamistische Gewaltspirale
hat zuletzt Drehungen vorgelegt, die man sich noch vor einigen Jahren
nie und nimmer hätte vorstellen können. Und die weltwirtschaftlichen
Gewichtsverschiebungen auf den Rohstoffmärkten könnten die nächsten
Ungleichgewichte bringen. Das Ende der Opec und die Destabilisierung
weiterer auf Bodenschätzen gebauten Diktaturen dürften noch
erhebliche Sicherheitsfragen aufwerfen. Wer also Ursula von der
Leyens Aufruf zum unbegrenzten Philosophieren über die neue deutsche
Sicherheitspolitik als Stuhlkreis statt Strategie veralbert, liegt
gründlich daneben.
Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Chef vom Dienst Nachrichten
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 – 585261